DEMOKRATISCH – LINKS

       KRITISCHE INTERNET-ZEITUNG

RENTENANGST

Imperialismus – Regelbasierter Wirtschaftskrieg – Durch Sanktionen gegen Russland hat die BRD einen strategischen Vorteil in der kapitalistischen Konkurrenz verloren

Erstellt von Redaktion am Freitag 30. August 2024

Von Lucas Zeise (für die Junge Welt)

Stringer/REUTERS

Ein Kubaner arbeitet an einem Wandgemälde zur Feier des 84. Geburtstags von Fidel Castro (Havanna, 13.8.2010)

Lucas Zeise ist Finanzjournalist in Frankfurt am Main und schreibt für junge Welt über die Finanzmärkte und Nationalökonomie

Wirtschaftskrieg ist unter imperialistischen Mächten die Regel. Er ist ein Machtmittel der Stärkeren gegen die Schwächeren. Die Regeln der kapitalistischen Weltordnung werden von den Starken gemacht. Sie können unbotmäßige Staaten von der Gnade des freien Waren- und Kapitalverkehrs ausschließen oder sie wieder zulassen. Ein Wirtschaftskrieg ist für die Starken in der Regel weniger kostspielig und risikoreich als ein militärischer Krieg. Für die von Wirtschaftskrieg betroffenen schwachen Staaten sind die Folgen verheerend. Es grenzt an ein Wunder, dass das seit mehr als 60 Jahren mit Wirtschaftskrieg überzogene sozialistische Kuba noch überlebt.

Seit der Jahrtausendwende sind die von der Weltmacht USA beschlossenen Wirtschaftskriege zahlreicher geworden. Irak, Venezuela, Iran, Libyen, Jemen, Syrien sind nur die spektakulärsten Beispiele. Auffällig ist auch, dass Wirtschaftskriege gegen unbotmäßige Nationen sich zunehmend gegen die erklärten Interessen der mit den USA verbündeten Staaten und ihrer Kapitalistenklassen richten. Der Wirtschaftskrieg gegen den Iran ist dafür ein eindrucksvolles Beispiel. Er schadete neben der Islamischen Republik selbst vor allem den westeuropäischen Staaten und wurde auf offener politischer Bühne gegen die Regierungen Frankreichs, Deutschlands und sogar Großbritanniens durchgesetzt. Der Wirtschaftskrieg gegen Russland ist in dieser Hinsicht noch bedeutender. Er schadet direkt und unmittelbar dem deutschen Monopolkapital. Deutschland wird dadurch deindustrialisiert, interpretieren auch die Fans dieses Krieges seine Wirkung. Die Sache wird nicht harmloser, wenn man daran erinnert, dass vor einem Jahrzehnt die deutsche Regierung einen – erfolgreichen – Wirtschaftskrieg gegen Griechenland geführt hat.

Manchmal ist ein kurzer Blick zurück ganz nützlich. Im Juni 2017 billigte der US-Senat ein Gesetz, das der Regierung in Washington jederzeit die Möglichkeit gab, gegen Unternehmen vorzugehen, die Energiegeschäfte mit Russland betreiben. Explizit bezog sich der Senat dabei auf die zweite Pipeline der Gesellschaft Nord Stream, die russisches Erdgas durch die Ostsee und, was der Zweck der Übung war, an Polen und der Ukraine vorbei nach Deutschland liefern sollte. Damals neu war einerseits das explizite Vorgehen des US-Senats, der die Sanktionsmöglichkeiten bei nur zwei Gegenstimmen verabschiedete. Die Bundesregierung beschwerte sich laut über diese Maßnahme.

Zunächst erhob der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) in einer gemeinsamen Stellungnahme mit dem österreichischen Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) den Vorwurf, dass Teile der geplanten Strafmaßnahmen des Senats »völkerrechtswidrig« seien. Die deutsch-österreichische Empörung richtete sich gegen »die Drohung mit völkerrechtswidrigen extraterritorialen Sanktionen gegen europäische Unternehmen, die sich am Ausbau der europäischen Energieversorgung beteiligen«. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) unterstützte explizit Gabriels Position und ließ mitteilen, dass sie die Aktion »befremdlich« finde. Es sei ein »eigenwilliges Vorgehen des US-Senats«. Gabriel und Kern wiesen in ihrer Erklärung darauf hin, dass es dem US-Senat um »den Verkauf amerikanischen Flüssiggases und die Verdrängung russischer Erdgaslieferungen vom europäischen Markt« gehe.

Wie recht die beiden damals hatten! Damals war Donald Trump neu im Amt des US-Präsidenten. Kern und Merkel sind pensioniert, der gelenkige Gabriel ist Vorsitzender der »Atlantikbrücke«, die dazu da ist, die Entscheidungen der USA in Deutschland populär zu machen. Heute ist der Verkauf des teuren US-Frackinggases nach Europa auf Jahre hinaus gesichert. Nord Stream I und II sind kaputt. Ihre Zerstörung wird als Teil der neuen regelbasierten Weltordnung gepriesen. Doch wie kommt es, dass die deutschen Kapitalisten den Nachteil durch den Wirtschaftskrieg mit Russland hinnehmen? Durch den Einfuhrstopp russischen Erdgases in die EU ist dem größten Abnehmer Deutschland ein strategischer Vorteil im Konkurrenzverhältnis zu anderen kapitalistischen Ländern verlorengegangen.

Zuverlässige und billige Energie für Deutschland ist ein alter Streitpunkt zwischen Nachkriegswestdeutschland und den USA. Die erste Rednerschlacht im Bonner Bundestag über diese Frage gab es 1958. CDU-Kanzler Konrad Adenauer machte dem mit dem Hinweis ein Ende, dass gegen den erklärten Willen der »Schutzmacht« für das deutsche Kapital nichts zu gewinnen sei. Erst als in den 60er Jahren der Wind der Entspannungspolitik aus den USA herüberwehte, konnte das Gas- gegen Röhrengeschäft mit der Sowjetunion entwickelt und in den 70er Jahren realisiert werden.

Der auf lange Frist angelegte Deal mit der Sowjetunion, später nur Russland, war seitdem ein vom deutschen Kapital gepriesener Eckpfeiler deutscher Außen- und Wirtschaftspolitik. Aber die US-Politik änderte sich. Seit 2005 begann in den USA die Öl- und Gasförderung mittels Frackingverfahren in großem Stil. 2011 lösten die USA Russland als weltweit größten Gasproduzenten und 2018 Saudi-Arabien als größten Ölproduzenten ab. Seit 2019 exportieren die USA mehr Öl als sie importieren.

Man sollte eher formulieren: US-Regierungen verstehen einen hohen Ölpreis mittlerweile mehr als Vor- denn als Nachteil. Noch mehr gilt das für den europäischen Gaspreis. Dass es billiges Gas aus Russland für die EU, vor allem aber für Deutschland nicht mehr geben darf, haben US-Regierungen und beide Häuser des US-Parlaments parteiübergreifend in den vergangenen Jahren immer wieder formuliert.

Deutsche Regierungen vor Olaf Scholz haben sich gegen diese Zumutung im Interesse des deutschen Kapitals gewehrt. Nun ist diese Zumutung Realität. Die heimischen Kapitalisten murren zwar, aber sie beugen sich. Man kann nur vermuten, dass sie kalkulieren, diese Auseinandersetzung mit dem starken Freund im Westen nicht gewinnen zu können.

 

Quelle: Aus: Krieg und Frieden, Beilage der jW vom 28.08.2024

https://www.jungewelt.de/beilage/art/481943

Kommentar schreiben

XHTML: Sie können diese Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>