Ostermarsch 2025 Lühr Henken, Ko-Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag (www.Friedensratschlag.de) Rede Berlin-Kreuzberg Mariannenplatz 19.4.25 und Marburg (Lahn) 21.4.2025
Erstellt von Redaktion am 24. April 2025
Ostermarsch 2025
Lühr Henken
Rede Berlin-Kreuzberg Mariannenplatz 19.4.25 und Marburg (Lahn) 21.4.2025, Deserteurdenkmal Frankfurter Str.
Liebe Ostermarschiererinnen, liebe Ostermarschierer,
Die wirren Ereignisse seit Beginn der zweiten Amtszeit Donald Trumps zeigen zumindest eine Konstante:
Sein Bestreben, den Ukrainekrieg durch Verhandlungen zu einem Ende zu führen. Ich werte das nach drei
Jahren Krieg als einen Lichtblick und kann dem Verhandlungsweg nur vollen Erfolg wünschen!
Die Umsetzung eines Waffenstillstands erweist sich jedoch als schwierig. Geht es doch darum zu vermeiden,
dass beide Seiten die Zeit zur Aufrüstung nutzen, nur um dann den Krieg wieder aufzunehmen.
Auf dem Weg zu einem Verhandlungsfrieden erweist sich das Verhalten bestimmter europäischer Staaten
als kontraproduktiv. Dazu zählt zum einen das Bestreben Frankreichs und Großbritanniens, Truppen aus
NATO-Ländern in der Ukraine zur Absicherung einer Waffenstillstandsvereinbarung unterzubringen. Das
lehnt Russland kategorisch ab. Und zum andern, die Waffenlieferungen an die Ukraine zu verstärken.
Entsetzen löste bei mir das Bestreben des wohl nächsten Kanzlers Friedrich Merz aus, TAURUS-
Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern, um damit die Kertsch-Brücke, die Landverbindung zwischen
Krim und Russland, zerstören zu können. Die Ukraine solle damit aus der Defensive kommen, meinte er.
Mir fiel dazu das neue Buch von Erich Vad ein. Es trägt den Titel: „Ernstfall für Deutschland – Ein Handbuch
gegen Krieg.“ Erich Vad ist Brigadegeneral a.D. der Bundeswehr, war von 2006 bis 2013 Sekretär des
Bundessicherheitsrats und militärpolitischer Berater von Bundeskanzlerin Merkel. Was mich an seinem
Buch erschütterte: Vad entwirft ein Kriegsszenario für Deutschland. Die Bundesregierung beliefert die
Ukraine mit TAURUS-Marschflugkörpern. Die ukrainischen Truppen zerstören – womöglich mit deutscher
Unterstützung – die Kertsch-Brücke, dann das russische Verteidigungsministerium, dann den Kreml. Im
Gegenzug zertrümmern russische Raketenangriffe die Fehmarn-Brücke bei Lübeck, die TAURUS-Fabrik in
Schrobenhausen und das Bundeskanzleramt in Berlin. Die Bundesregierung ruft die NATO zu Hilfe.
Der Aufmarsch von einer Million NATO-Soldaten an die russische Grenze führt zwangsläufig quer durch
Deutschland. Vad schreibt: „Wie befinden uns immer mittendrin – egal, was passiert.“ Russland beschießt
die Bewegungsachsen der NATO durch Deutschland, vor allem die Autobahnkreuze.
Die USA bringen schon in diesem Jahr ihre Mittelstreckenraketen nach Deutschland und nicht erst 2026 wie
geplant. Russland nimmt die 40 US-Stützpunkte unter Feuer, insbesondere die Oberkommandos von
Wiesbaden, Stuttgart und Ramstein. Und so weiter….
Deutschland befindet sich mitten im Krieg. Die entsetzlichen Auswirkungen erspare ich uns.
Vad plädiert mit großem Nachdruck für eine Verhandlungslösung im Ukrainekrieg. Dem kann ich nur
zustimmen.
Das Szenario zeigt mir: Der Krieg ist so nah. Viel näher als man glaubt. Erich Vad, ein erfahrener
hochrangiger Militär, früher in verantwortungsvoller Position, öffnet uns die Augen: Wir sind dem Abgrund
näher als wir glauben.
Das heißt für mich: Waffenlieferungen mit oder ohne TAURUS führen zu keiner Änderung der strategischen
Lage der Ukraine, sondern nur zur unnötigen Verlängerung des Krieges und bergen zudem die Gefahr eines
Atomkrieges. Gegen die Atommacht Russland ist im Zermürbungskrieg keine Eskalationsdominanz zu
erreichen. Merz darf keine Taurus liefern!
Was mich erzürnt, ist die Angstmacherei, mit der die deutsche Regierung, die EU und ihre
Parlamentsmehrheit die Militärausgaben in ungeahnte Höhen treiben will. Das deutsche Ziel, bis 2029
„kriegstüchtig“ zu werden, und auf europäischer Ebene in den nächsten fünf Jahren 800 Milliarden für die
Aufrüstung auszugeben, fußt auf zwei falschen Annahmen, nämlich, dass Russland Europa angreift, und,
dass die USA Europa gen China verlassen und uns mit Russland allein lässt.
Das sind zwei Annahmen, für die es keine Indizien und schon gar keine Belege gibt. Zur Annahme, die USA
verlassen Europa: Mal im ernst, weshalb sollten die USA den Schutz ihrer Billionen schweren Investitionen
in Europa, die viermal größer sind als jene im indo-pazifischen Raum, aus freien Stücken allein den
Europäern überlassen? Zudem: Warum sollten sie ihre Stützpunkte und Kommandozentralen, mit denen
sie sich ungebeten eine militärische Zuständigkeit für 104 Länder Europas, Afrikas und Asiens anmaßen,
freiwillig aufgeben? Nein, die USA werden Europa nicht aus freien Stücken räumen. Aber mit dem Gerücht,
sie täten es, wird die Angst vor einem russischen Überfall geschürt.
So kommen wir zur zweiten Annahme: Russland überfällt Europa: Was mich befremdet, ist, dass diejenigen,
die die Angst vor Russland täglich schüren, regelmäßig vergessen zu erwähnen, dass der Angreifer, um im
Angriffskrieg zu siegen, das Dreifache an Kriegsmaterial und Soldaten aufwenden muss wie der Verteidiger.
Verfügt Russland über diese dreifache Überlegenheit? Nein! Im Gegenteil: Die europäischen NATO-Staaten
liegen bei Soldatenzahlen und in allen relevanten Waffenkategorien gegenüber Russland sogar vorn.
Diese Fakten versuchen die Aufrüstungsbefürworter zu verwischen. Sie sagen, mit einem Großangriff
Russlands auf Zentraleuropa sei ja auch gar nicht zu rechnen, wohl aber müsse man gewappnet sein, wenn
Russland die NATO testen wolle, zum Beispiel im Baltikum oder in der Arktis. Dazu dürfe man es gar nicht
erst kommen lassen. Deshalb die Aufrüstung.
Harald Kujat, ehemals höchster NATO-Militär, ging vor Kurzem auf diese Frage ein. Er sagte: „Ein Angriff auf
einen NATO-Staat würde bedeuten, dass sich Russland im Krieg mit der gesamten NATO befände. Ich habe
große Zweifel, dass Russland bereit ist, ein existenzielles Risiko für einen derartigen Test in Kauf zu
nehmen.“1 Das sehe ich auch so.
Das bedeutet doch, die europäische und deutsche Aufrüstungsorgie ist unbegründet. Weshalb wird
trotzdem gerüstet wie noch nie?
Deutsch-französische Kräfte verfolgen seit langem einen Plan der strategischen Autonomie von den USA. Sie
haben dafür Megaprojekte für Luftwaffe und Heer in Gang gesetzt. FCAS und MGCS sollen die militärische
Macht der EU weltweit begründen. Das sind Jahrhundertprojekte. Allein das Geld dafür fehlt. Greenpeace
errechnete dafür Kosten von bis zu 2.000 Milliarden Euro.
Die 800 Milliarden Kreditlinie für EU-Staaten bringt Rheinmetall-Chef Papperger noch mehr zum Frohlocken.
Er sieht die Ausgaben der europäischen NATO-Staaten 2030 bereits bei 1.000 Milliarden, was doppelt so viel
ist wie letztes Jahr. Der Bundesrechnungshof warnt: allein durch die nach oben offenen Militärausgaben
würde die deutsche Verschuldung 2035 ebenfalls bei einer Billion liegen. Die Gier kennt keine Grenzen.
Zu allem Überfluss: Die Bundesregierung steigt in den Kauf von Kamikazedrohnen ein. Die Idee: Ein
sogenannter Drohnenwall gegen Russland soll entlang der NATO-Ostgrenze errichtet werden. Schwärme aus
zehntausenden autonomer Kamikazedrohnen sollen Russland von einem Angriff auf Europa abhalten. Sie
sollen Panzer und Artillerie ergänzen und wirken wie ein Minengürtel. Das Perfide daran ist: Einen
Minengürtel können beide Seiten nicht durchdringen, ein „Drohnenwall“ jedoch hindert die NATO nicht
daran, auf russisches Gebiet vorzudringen. So wird, was propagandistisch als Verteidigung angepriesen
wird, zu einer Angriffsoption.
1 Zeitgeschehen im Fokus 12.4.25, https://zgif.ch/2025/04/11/ukraine-krieg-scherbenhaufen-der-europaeischen-politik/
Die sehr massive Aufrüstung der europäischen NATO-Staaten bedroht Russland existenziell und setzt eine
Eskalationsspirale in Gang, die Russland zu Gegenmaßnahmen provoziert. Die Kriegsgefahr steigt. Dem kann
nur durch Verhandlungen begegnet werden.
Deshalb müssen Verhandlungen um die Zukunft der Ukraine jetzt mit Abrüstungsverhandlungen in Europa
verbunden werden. Sie müssen zu Rüstungsobergrenzen auf möglichst niedrigen Niveau führen und Zonen
verminderter Militarisierung definieren, um damit Truppen- und Waffenkonzentrationen zu verhindern.
Erich Vad entwirft das Kriegsszenario aufgrund der TAURUS-Lieferung. Was geschieht erst, wenn die US-
Mittelstreckenwaffen kommen? Sie sind noch bedeutend gefährlicher als die TAURUS. Warum?
Sie werden verdeckt von Land aus gestartet. Sie fliegen wesentlich weiter als die 500 km der TAURUS und
treffen weit im russischen Hinterland. Die SM-6 Boden-Boden-Rakete schafft 1.600 km, der
Marschflugkörper Tomahawk fliegt 2.500 km weit und die Hyperschallrakete Dark Eagle schafft 3.700 km.
Dark Eagle könnte vom vermutlichen Stationierungsort Grafenwöhr in der Oberpfalz bis über den Ural
hinaus fliegen. Alle drei Waffentypen bedrohen acht von insgesamt 12 russischen Radarfrühwarnanlagen,
die anfliegende US-amerikanische Interkontinentalraketen aufspüren sollen. Sind diese Radarschirme
zerstört, ist Russland blind und erpressbar und könnte sich zu Atomschlägen provoziert fühlen. Die US-
Mittelstreckenwaffen aus Deutschland bedrohen auch etwa zwei Drittel der russischen
Interkontinentalraketen. Das untergräbt die russische nukleare Zweitschlagskapazität und damit das
strategische nukleare Gleichgewicht der Abschreckung.
Aber die gefährlichste der US-Waffen ist Dark Eagle. Sie ist konzipiert, um bewegliche Hochwertziele zu
treffen. Damit ist der russische Präsident gemeint. Von Bayern aus benötigt sie 10 Minuten bis Moskau. Ist
der Präsident mal eine Viertelstunde fest an einem Ort, wird Dark Eagle gestartet. Mit 17 facher
Schallgeschwindigkeit, nähert sich der hochpräzise Sprengkopf auf flacher Flugbahn in einem
unvorhersehbaren Schlingerkurs dem Ziel. Erst zwei bis drei Minuten vor dem Einschlag entdeckt ihn das
Radar. Ein Abschuss ist kaum mehr möglich. Eine Dark Eagle kostet 41 Millionen Dollar. Putin hat – wie auch
Xi Jinping – Dark Eagle als Enthauptungsschlagwaffe erkannt und daraufhin die Schwelle des
Atomwaffeneinsatzes gesenkt. Als Antwort verfügt Russland nun über Raketen wie Oreschnik, die nicht
abfangbar sind, und Deutschland direkt bedrohen.
Mit der Stationierung von Mittelstreckenwaffen in Deutschland schaffen wir uns Magnete für russische
Präventiv – oder Gegenschläge. Aus dieser lebensgefährlichen Falle kommen wir nur raus, indem die
Stationierung hierzulande verhindert wird.
Die Unterschrift unter den Berliner Appell ist ein Bekenntnis dafür, dass man die Raketen ablehnt. Ich bitte
euch, helft mit, massenhaft dafür zu sammeln. Wir müssen die Bevölkerung aufrütteln! Das Kriegsszenario
von Erich Vad ist Mahnung und Weckruf für die akute Lebensgefahr, in der wir uns alle befinden. Danke.
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*Lühr Henken, ist Ko-Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag (www.Friedensratschlag.de), Herausgeber
der Kasseler Schriften zur Friedenspolitik (https://jenior.de/produkt-kategorie/kasseler-schriften-zur-friedenspolitik/ ),
Mitglied des Personenbündnisses Nie wieder Krieg – Die Waffen nieder (https://nie-wieder-krieg.org/) und arbeitet
mit in der Berliner Friedenskoordination (http://www.frikoberlin.de/ )
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