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Archiv für November, 2024

Gladiator II: „Die Politik folgt dem Geld!“, schon seit der römischen Republik

Erstellt von Redaktion am 27. November 2024

Gladiator II: „Die Politik folgt dem Geld!“, schon seit der römischen Republik

Von Dr. Nikolaus Götz   –   25.11.2024

Nach einem üppigen Geldregen in die Kassen Hollywoods durch einen Filmerfolg wie ’Gladiator I’ folgt natürlich, fast schon vorhersehbar, dessen Fortsetzung mit ’Gladiator II’. Und dieser Filmemuss von einem ’Blockbaster’, was auf gut deutsch übersetzt ’Straßenfeger’ oder etwa ’Kassenschlager’ bedeutet, ist seit dem 14. November 2024 auch in den deutschen Kinos zu bewundern. Ja, der farbige Action-Monumentalfilm, von der fast magischen Anziehungskraft eines einstigen ’Ben Hur’, scheint seinem Regisseur Ridly Scott den erwarteten ’Reichtum’ noch vor ’X-mas’ ins Haus zu spülen. Obgleich diese Filmproduktion nicht in dreidimensionaler Version wie der Filmhit ’Avatar’ aus dem Jahr 2009 gezeigt wird, beeindruckt die neuste Bildershow nun durch die enorm realistische Darstellungskraft, die möglich wurde, dank der jetzt einsetzbaren digitalen, computergenerierten ’künstlichen Intelligenz’.

Um im aktuellen ’Gladiator II’ die filmischen Rückblenden auf die vorherigen Filmhelden wie die symbolträchtigen absichtlich verschwommenen Landschaftsszenen besser verstehen zu können, sollten die interessierten Kinobesucher die Filmgeschichte von ’Gladiator I’ noch etwas im Kopfe haben. Doch die über zweistündige Filmstory -148 Minuten lang- des ’Gladiator II’ ist auch ohne filmisches oder großes historisches Vorwissen faszinierend: Wie nämlich erwartet, erweitert ’Rom’ als erste Ordnungsmacht der Antike mit seinem stets überlegenen Miliär sein Staatsgebiet. Während der ’Gladiator I’ sich zunächst in Germanien seine Lorbeeren verdienen muss, verlagert sich der römische Blick im ’Gladiator II’ auf Nordafrika. Dem dortigen anfänglichen Kriegsgeschehen zur ’Rekrutierung’ von Gladiatoren folgen sodann natürlich deren obligatorische Schaukämpfe in der imperialen Hauptstadt Rom. Durch diese wird der ansonsten rebellische Plebs der römschen Metropole ruhig gestellt und mit „panis et ludos“ gefüttert oder also mit „Brot und Spielen“ in guter Laune gehalten. Auch wir Kinogänger im 21. Jahrhundert erhalten durch die amerikanische Filmindustrie verbunden mit der ewigen Faszination vor den kulturellen Errungenschaften der großen römischen Zivilisation Zerstreuung vom tristen Alltag, gemäß dem Motto: „We love to entertain you!“

Filmisch lernt der Kinobesucher umgehend seinen Haupthelden Hanno kennen, der ganz privat in einer ländlichen Gartenidylle, zunächst Küsse mit seiner Lebensgefährtin tauschen kann. Doch umgehend erfolgt der Szenenwechsel in die kriegerische Gegenwart etwa um das Jahr 200 nach Christus: ’Rom’ ist „Ante portas!“, steht mit Gladiator II nun vor den Toren einer numidischen Stadt und realisiert die ’Pax romania’, seinen diktierten Frieden, der das Mittelmeer gänzlich als römischer Besitz umspannt, benannt mit ’mare nostrum’, als ’unser Meer’. Der in Breitbandbildern gezeigte Ansturm einer römischen Flotte mit seinen Soldaten, seinen Wurfmaschinen und hohen Sturmtürmen auf eine militärtechnisch unterlegene Stadt in Nordafrika wird filmisch billant präsentiert und fesselt den Betrachter. Da der römische Angriff chancenlos für seine Verteidiger unter ’General’ Hanno ist, kann alsbald der römische Oberkommandierende Acacius sein cäsarisches „Vae victis! – Wehe den Besiegten!“ den heutigen Kinobesuchern zurufen (sic), ebenso wie den zahlreichen Gefangenen, zu denen auch der Actionhero Hanno gehört, in dessen Filmrolle der Schauspieler Paul Mescal geschlüpft ist. Dieser arme Unterworfene, in Trauer und voller Wut wie Hass gegen die Römer und dies besonders wegen des Verlustes seiner geliebten Gemahlin im Schlachtengetümmel des blutigen Eroberungskrieges, kennt jedoch noch nicht seinen gloreichen künftigen Filmwerdegang als unser Superstar ’Gladiator II’.

Mit dem triumpfalen Einzug des gerade siegreichen Tribuns Justus Acacius, der überzeugend von José Pedro Pascal gespielt wird, in die römische Großstadtbühne, werden die monumentalen Großbauten der ewigen Stadt Rom am wieder auferstandenen ’Forum romanun’ gezeigt. Alles aber wird überragt vom alsbaldigen Auftrittsplatz der Gladiatoren, dem Kollosseum, dieser genial konzipierten Sportarena, die bis heute die Architekten weltweit beeindruckt. Vom Feldzug zurück ins antike Rom beginnt nun die filmische Darstellung der so von Hollywood rekonstruierten damaligen römischen Republik. Sie wird dargestellt im Spannungsfeld zwischen den beiden Cäsarenbrüder Caracalla und Geta, den rivalisierenden Senatoren, den Nachkommen der alten, rechtsmäßigen (?) Adelsfamilie von Cäsar Mac Aurel, nämlich der schönen Lucilla und ihrem Sohn Hanno, dem eigentlichen Römer Lucius und mit ihrem aktuellen Ehemann dem Tribun Justus Acacius und endlich auch dem römischen Volk, das politisch wie heute unbeteiligt, in der Arena gezeigt wird, Zustimmung kreischend.

In solchem menschlichen Ränkespiel um die Macht im Staate fehlt nur noch ’das Kapital’ als Herrschaftsfaktor: „Die Politik folgt dem Geld!“, belehrt denn der amerikanische Filmstar Denzel Washington die anwesenden Kinobesucher in seiner Filmrolle als Macrinus der Sklavenhändler und als reichster Mann von Rom. Die filmisch sehr luxuriöse Ausstattung seiner Person, seine personale Ausstrahlung, sein schauspielerisches Vermögen, sein Handeln wie sein Wille zur Macht zeigen Denzel Washinton als den eigentlichen ’Star’ des Filmes ’Gladiator II’. Diese seine Rollen als Eigentümer einer Gladiatorenschule und seines Sklaven Hanno oder Lucius, als Geldmagnat und die des politischen Karrieristen, der über Leichen geht, heben Denzel Washington über seine Mitschauspieler hinaus und lassen den eigentlichen Helden des Filmes ’Gladiator II’ eher alt aussehen. Zweifel sind an Rollenbesetzung des Arenahelden anzubringen. Jedoch wer wäre die optimale personale Inkarnation eines römischen Gladiators? Unbestritten war in ’Gladiator I’ Russel Crowe die ideale Besetzung der Rolle eines Schwertkämpfers, ein Schauspieler, der wohl aus Altersgründen jedoch nicht mehr zur Verfügung stand. Und wie wäre durch den Regisseur Scott die alternative Besetzung mit Kit Harington gewesen, der als ’Jon Schnee’ international durch die Filmserie ’Game of Thrones’ bekannt wurde und der im Film ’Pompeii’ aus dem Jahr 2014 schon einmal den siegreichen Gladiator gab?

Die filmischen Darstellung der politischen Intriegen im antiken Rom als Erzählstorry gewinnt im Zentrum des Filmes fast die Überhand vor den Schaukämpfen unseres ’Gladiators II’, der als politischer Spielball wider Willen dient. Der Kampf gegen das riesige Nashorn wie die rekonstruierte Wasserschlacht im Kolloseum sind einmalig und mehr als nur beeindruckend sensationell! Doch endlich kommt es zum üblichen ’Shot down’ und/ oder ’Happy End’ des amerikanischen Filmschinkens. Jedoch erringt unser römischer ’Siegfried’ nicht die neue Liebe einer schönen Prinzessin, sondern er kann im Endkampf um seine Freiheit seinen eigentlichen Widersacher den superreichen gegen die Republik intrigierenden ’ersten Kapitalisten’ Roms besiegen. Mit Denzel Washingtons Lebensende als Macrinus ist jedoch die Frage um die Herrschaft in der römischen ’Republik’ nicht zu Ende. Und der Regisseur Ridly Scott läß seine Kinofans einfach antwortlos mit seinem ’Gladiator II’ in der Arena stehen. Damit ist ihm aber die Möglichlichkeit einer Fortsetzung der Gladiator-Storry gelassen und Hollywood könnte alsbald melden: „Gladiator III: Coming soon!“

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Gegen Militarisierung und Kriegstüchtigkeit – Wir sagen Nein zur Aufstellung neuer US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland.

Erstellt von Redaktion am 15. November 2024

Gegen Militarisierung und Kriegstüchtigkeit
Wir sagen Nein zur Aufstellung neuer USMittelstreckenwaffen in Deutschland.

Virtuelle Aktionsberatung
Sonntag, 24. November 2024, 11.00 Uhr (bis ca. 14:00 Uhr)

Bei der großen Demonstration am 3. Oktober in Berlin für Frieden und gegen weitere Aufrüs-
tung haben wir uns darüber verständigt, die zentralen friedenspolitischen Herausforderungen
anzugehen:

Die Stationierung neuer USMittelstreckenwaffen in Deutschland zu verhindern. Diese
Erstschlagwaffen, die allein in Deutschland stationiert werden sollen, sind eine große
Gefahr für den Frieden in Europa. Die Raketen, konventionell oder atomar bestückt,
sind zudem Magneten für einen Präventivangriff auf Deutschland und zerstören das,
was zu verteidigen sie vorgeben.

Nein zu allen Kriegen. Deshalb sofortiger Waffenstillstand in der Ukraine und in
Gaza/Libanon. Wir fordern eigenständige Initiativen der Bundesregierung für einen
Friedensprozess in der Ukraine und einen Stopp der Waffenlieferungen.

Abrüstung statt Hochrüstung. Mit den freiwerdenden finanziellen Ressourcen müssen
die sozialen, ökologischen und globalen Herausforderungen gemeistert werden.

Hier findet sich der Berliner Appell, Formular zum online unterschreiben sowie
Unterschriftenlisten zum Download und weitere Materialien:
https://niewieder
krieg.org/
https://niewiederkrieg.org/2024/10/16/berlinerappellunterschriftenblatt/
.

Aktuell gibt es erste Aktionen, Infostände und Unterschriftensammlungen für den BERLINER
APPEL. Die Berichte von diesen Aktionen sind sehr ermutigend.

Diese wollen wir auswerten und überlegen, wie wir unsere Aktivitäten intensivieren
und koordinieren können.

Was können wir gemeinsam tun? Was können wir zur Nachahmung anregen? Was
sollten wir neu entwickeln?

Wie kann aus der Unterschriftensammlung eine breite Bewegung werden?
Wann demonstrieren wir an den Stationierungsorten?
Wie kann eine internationale Unterstützung gegen die Stationierung erreicht werden?
Das sind einige Fragen, weitere sollten aufgeworfen und in unserer Aktionsberatung disku-
tiert werden.

Wir wollen den Schwung der Demonstration nutzen, um eine Bewegung zu entwickeln, die
die Stationierung neuer Mittelstreckenraketen bis zum Jahr 2026 verhindert.

Folgenden Ablauf schlagen wir vor:

11:00 Uhr Begrüßung und Moderation: Yusuf As

Zur aktuellen Lage. Peter Wahl

Zu den ersten Aktionsideen: Reiner Braun

11:40 Uhr Offene Diskussion

13:30 Uhr Zusammenfassung der Aktionsplanung

14:00 Uhr Ende der Videokonferenz

Bitte für die Videokonferenz anmelden: Anmeldung für Teilnehmer:innen:

https://us02web.zoom.us/meeting/register/tZ0rdispzMoHNTIv2_TBDsCVmUaR7JtO8Wh

Als Material für die Aktionen kann die neue Ausgabe der „Zeitung gegen den Krieg“
bestellt werden:
https://docs.google.com/forms/d/14K9XMO2h8KTVNJjws4PiK9XNS-
KoQiTIpS9e64mlSsE4/viewform?edit_requested=true

https://zeitunggegendenkrieg.de/

Wir laden auch zum Webinar über das Diskussionspapier „Friedenspolitik für die Welt
des 21. Jahrhunderts“ ein.

Unter diesem Titel haben wir ein Diskussionspapier veröffentlicht, das die globalen Umbrü-
che beschreibt und welche Schlussfolgerungen die Friedensbewegung daraus ziehen muss.
Das Papier skizziert die Transformation des internationalen Systems, greift Kontroversen in
der Friedensbewegung und der gesellschaftlichen Linken auf, wie z.B. das Verhältnis von
Menschenrechten und nationaler Souveränität.
https://niewiederkrieg.org/friedenspolitik21
jahrhundert/

Das Webinar findet am Mittwoch, 27. November 2024 um 19:00 Uhr statt.

Es diskutieren

Prof. Dr. Birgit Mahnkopf
Dr. Michael Brie
Michael Müller
Die Moderation übernimmt: Peter Wahl

Anmeldungen bitte unter:
https://us02web.zoom.us/meeting/register/tZEqfuGuqTIiEt-
daxxYLPqiCfVja5ji2FRgm#/registration

Berliner Appell

Gegen neue Mittelstreckenwaffen und für eine friedliche Welt

Wir leben im gefährlichsten Jahrzehnt seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Die
Gefahr, in einen atomaren Abgrund zu taumeln oder durch einen konventionel-
len Krieg umzukommen, ist real. An dieser Weggabelung stehen wir für eine
friedliche und solidarische Welt der Gemeinsamen Sicherheit, Solidarität und
Nachhaltigkeit für alle Menschen.
Wir sagen Nein zur Aufstellung neuer USMittelstreckenwaffen in Deutsch-
land.
Die geplanten Hyperschallraketen Dark Eagle steigern die Spannungen und
sind insbesondere für Deutschland eine Gefahr, zum Ziel eines Präventivan-
griffs zu werden. Überdies fördern die geringen Vorwarnzeiten das Risiko von
Fehlreaktionen.

Die Stationierung wurde ohne jede öffentliche und parlamentarische Diskussion
entschieden. Abrüstungsverhandlungen sind nicht vorgesehen. Wir bleiben da-
bei, Konflikte und Rivalitäten nicht militärisch zu lösen, sondern alles zu tun,
Kriege zu vermeiden oder zu beenden. Dieser Aufgabe darf sich niemand ent-
ziehen.

Spenden:

Wir freuen uns über jede noch so kleine Spende auf das folgende Konto der Friedens und
Zukunftswerkstatt, bei der Frankfurter Sparkasse, IBAN DE20 5005 0201 0200 0813 90
BIC HELADEF1822 Stichwort: „Berliner Appell“

Initiative „Nie wieder Krieg Die Waffen nieder“
Yusuf As, Reiner Braun, Wiebke Diehl, Ulrike Eifler, Andreas Grünwald, Rita Heinrich, Lühr Henken, Andrea Hornung,
Jutta KauschHenken, Ralf Krämer, Michael Müller, Willi van Ooyen, Christof Ostheimer, Peter Wahl

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„Die Tagesschau ist zum Propagandasender verkommen“

Erstellt von Redaktion am 11. November 2024

Die Tagesschau ist zum Propagandasender verkommen“

08. November 2024 um 9:00 Ein Artikel von Marcus Klöckner (NachDenkSeiten)

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist am Ende:

Aber ein Ende ist nicht in Sicht“ – unter diesem Titel haben

Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer ein Buch veröffentlicht, das sich auch als der finale Abgesang auf die Tagesschau bezeichnen lässt. Beide haben Jahrzehnte beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) gearbeitet. Mit Kritik am ÖRR halten sich Klinkhammer und Bräutigam nicht zurück. Ihre Auseinandersetzung mit der Tagesschau zeigt den Abgrund des öffentlich-rechtlichen Nachrichtenjournalismus. Im NachDenkSeiten-Interview verdeutlichen Bräutigam und Klinkhammer, wie „politische Meinungsmache“ und „publizistischer Machtmissbrauch“ aussehen. Ihr Fazit: „Der real existierende öffentlich-rechtliche Rundfunk ist nicht reformierbar.“

Von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

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Marcus Klöckner: Herr Klinkhammer, Herr Bräutigam, Sie haben sich gerade auf 240 Seiten mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) auseinandergesetzt. Nach der Lektüre Ihres Buches ist der Eindruck: Wir leisten uns für viel Geld einen Rundfunk, der in weiten Teilen einen katastrophalen Journalismus abliefert. Würden Sie bitte kurz zum Einstieg in das Interview zusammenfassend die Schwachstellen ansprechen?

Bräutigam: Wenn‘s denn nur Schwachstellen wären! Aber wir haben über Selbstzensur zu reden, über politische Meinungsmache, selbstherrlichen publizistischen Machtmissbrauch, bewusste Falschinformation. Höflich, aber nachdrücklich erinnere ich daran: Der Gesetzgeber hat die Kernaufgabe des Rundfunks und Fernsehens bestimmt und diesbezüglich keinerlei Spielraum gelassen: „Freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung garantieren. Der Meinungsvielfalt verpflichtet sein“. Rundfunk und Fernsehen haben, ich zitiere, „… Nachrichten vor ihrer Verbreitung … auf Wahrheit und Herkunft zu prüfen“ und beispielsweise die Pflicht, „der Verständigung unter den Völkern zu dienen“.

Gegen diesen Auftrag verstößt der öffentlich-rechtliche Rundfunk nachhaltig. Das Informationsangebot der Gebührensender ARD, ZDF und Deutschlandradio, speziell die Nachrichtensendungen, ist nicht vielfältig, nicht auf Wahrheit und Herkunft geprüft. Es handelt sich also nicht nur um „Schwachstellen“. Wir müssen von Nachrichten-Unterschlagung und demokratieschädigendem Infotainment-Gift sprechen. Zu den Risiken und Nebenwirkungen des Tagesschau-Konsums gehört, dass man davon Pickel kriegt – und ‘nen dicken Hals.

Schon ein Blick in das Inhaltsverzeichnis zeigt, bei welchen Themen Ihre Kritik angebracht wird. Da geht es unter anderem um Russland, China und Armut in Deutschland. Und Sie sprechen auch die fehlende Distanz zu den Mächtigen an. Beginnen wir doch damit. Abstand zu denen „da oben“, das heißt: kein Journalismus, der sich in ideologische Komplizenschaft verstrickt – das ist elementar für einen glaubwürdigen Journalismus. Wie sieht das nun im ÖRR aus?

Klinkhammer: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist gesetzlich verpflichtet, politische Öffentlichkeit herzustellen, das heißt: Er muss die Politik der Parteien nach außen vermitteln. Er dient damit den Parteien und profitiert dabei auch selbst, solange die Parteien die Rahmenbedingungen für seine weitere Existenz verteidigen – eine Symbiose, nützlich für beide Seiten. Daraus entsteht eine Komplizenschaft, geprägt von gegenseitiger Rücksichtnahme: „Ihr sichert uns die Existenzgrundlage als Sendeanstalten, und wir tun Euch journalistisch nicht weh.“ Lange ist es her, dass die parteipolitischen Meinungsführer offen gegen kritische Beiträge in Funk und Fernsehen („Rotfunk“) zu Felde zogen. Kritik an gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen ist im Wesentlichen Vergangenheit, heute ist Anpassung die Regel. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat die ihm ursprünglich zugedachte Funktion als Kontrollorgan der Gesellschaft gegenüber ihrer Staatsführung, die Funktion der „Vierten Gewalt“, faktisch aufgegeben. Stattdessen ist Anpassung angesagt …

Woran machen Sie Ihre Kritik fest? Haben Sie ein Beispiel?

Klinkhammer: Tina Hassel aus dem Hauptstadtbüro der Tagesschau behauptete kürzlich im Interview mit einer EU-Technokratin, ich zitiere: „Internationale Allianzen wie die BRICS-Staaten werden für bestimmte Länder attraktiv, weil diese Allianzen den Menschenrechten und der Rechtsstaatlichkeit keine Priorität einräumen.“

Reine Propaganda und obendrein eine Fehlinformation: Südafrika zum Beispiel, einer der BRICS-Staaten, ist ein Land, das jahrzehntelang unter Menschenrechtsverstößen – weitgehend vom „demokratischen“ Westen mitverursacht – gelitten hat. Zu unterstellen, es räume den Menschenrechten heute keine Priorität ein, ist reine Denunziation und typische westliche Arroganz. Einer Journalistin des öffentlich-rechtlichen Rundfunks steht so etwas nicht zu. Offensichtlich merkt sie nicht einmal, dass sie sich damit auf die Stufe unfähiger Politiker wie Michael Roth oder Annalena Baerbock stellt, denen nichts anderes einfällt, als unliebsame andere Nationen zu diskreditieren und abzumeiern.

Solche journalistischen Fehlleistungen sind keine Ausnahme. Sie sind üblich.

Für einen objektiven, unabhängigen Journalismus bedeutet all das?

Klinkhammer: Es bedeutet, bezogen auf seinen Informationsauftrag, dass er im öffentlich-rechtlichen Rundfunkrahmen zu verkümmern droht.

Sie sprechen in Ihrem Buch von einem „Strategiepapier des Schönredens“. Was meinen Sie damit?

Klinkhammer: Wir diskutieren an der Stelle ein Strategiepapier der Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling. Sie ist bekannt geworden mit hervorragenden kritischen Medienanalysen. ARD-Hierarchen hatten ihr bzw. ihrem Institut zu meiner persönlichen Überraschung den Auftrag erteilt, sich im Rahmen der unendlichen „ARD-Strukturreform-Prozesse“ mit der Frage auseinanderzusetzen, wie man mit bewusster Sprachwahl bei der Selbstdarstellung öffentlich Sympathien erringen könne. Es ging Wehling darum, „der Institution ARD eine gedankliche Grundlage zu schaffen für eine Kommunikation, die auf Basis der unbestrittenen Fakten den tatsächlichen Wert des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die Demokratie schon auf den ersten Blick besser erkennbar macht“. Man brauche „Frames“, die hervorheben, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine „gemeinwohlorientierte Organisation“ ist und dass „es wichtig sei, dass Menschen auch weiterhin ihren Beitrag dazu leisten“. Man wolle weg von Diskreditierungen wie „Lügenpresse“ und Ähnlichem. Auf Neudeutsch ging es also um „Public Relations“, PR.

Erreicht ist das Ziel bis heute nicht. Der „Wert des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Bewusstsein der Menschen“ ist keineswegs überragend: Die Verweildauer nimmt nach wie vor ab, der Zahlungsboykott hält an. Die „Kunden“ sind bald mehrheitlich im Rentenalter, die Jugend favorisiert die sogenannten Social Media. Der Begriff „Lügenpresse“ ist längst etabliert und genießt in rechtskonservativen Kreisen große Beliebtheit.

Das „Strategiepapier“ ist ja schon etwas älter. Wie sieht es denn heute mit der verwendeten „Sprache“ aus. Was fällt Ihnen da auf?

Bräutigam: Nach wie vor und zunehmend: kommentierende Untertöne dort, wo unbedingt absolute Sachlichkeit herrschen müsste. Unsaubere, wertende, tendenziöse Wortwahl: „Machthaber“ statt Präsident, „Regime“ statt „Regierung“, „ungerechtfertigter völkerrechtswidriger Angriffskrieg“ und so weiter. Sätze in saumäßigem Deutsch, voller grammatischer Fehler und schwachsinniger Sprachbilder: „Deutschland ist gut aufgestellt“, „Auf gleicher Augenhöhe“, „Die Lage spitzt sich zu“, „Die Wirtschaft brummt“. Auch an gegendertem Unfug fehlt es nicht. Die Tagesschau kreierte sogar den Begriff „Gewerkschaftsmitgliederinnen“.

Sie gebrauchen den Begriff „Empörungsjournalismus“. Sehen Sie den auch im ÖRR?

Klinkhammer: Seit es Boulevardjournalismus gibt, wollen Medien, wann immer möglich, öffentliche Entrüstung erzeugen, denn die bewirkt erfahrungsgemäß erhöhte Aufmerksamkeit, die kommerzielle Medien oft schon wegen der Einschaltquoten bzw. der Auflagensteigerung benötigen. Eine nüchtern abwägende Berichterstattung ist diesbezüglich dem Empörungsjournalismus unterlegen.

Haben Sie auch dazu ein Beispiel?

Klinkhammer: Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk geht es bei der Unterscheidung der „Guten“ von den „Bösen“ in erster Linie um Propagandaeffekte. Darin ist der „Empörungsjournalismus erprobt: Gut gegen Böse. Jahrelang wurde der russische Präsident Putin vom westlichen Empörungsjournalismus dämonisiert. Ob es die angeblich von Putin veranlasste Vergiftung des Propagandisten Nawalny, das Verschwinden der in England lebenden Skripals oder die offenkundige Massaker-Inszenierung im ukrainischen Butscha war: Nach tagelang verbreiteten, unbewiesenen, massiv sich ständig wiederholenden Behauptungen sollte jedem klar geworden sein, wie er zu denken hatte. „Putin ist der Böse“, alles Gegenteilige ist „russische Desinformation“. Dabei zeigt sich erneut als bittere Tatsache, ich zitiere:

Wenn man eine große Lüge erzählt und sie oft genug wiederholt, dann werden die Leute sie am Ende glauben.“

Angenommen, Ihnen würde ein Intendant gegenübersitzen. Nehmen wir weiter an, der ÖRR-Mann würde sagen, dass Sie viel zu einseitig sind und in Wirklichkeit der Journalismus von ARD und ZDF höchsten Qualitätsstandards entspräche. Was würden Sie dem entgegnen?

Bräutigam: Er möge seinen rotzfrechen Versuch unterlassen, unsere Mitwelt für dumm zu verkaufen und meinen Verstand zu beleidigen. Wer seine Nachrichtensendungen ausschließlich aus dem Material transatlantisch genormter westlicher Nachrichtenagenturen zusammenkleistern und bewusst darauf verzichten lässt, „auch die andere Seite zu hören“, bevor über Konfliktfälle berichtet wird, der mag Intendant sein, ist aber kein Gesprächspartner über sauberen Journalismus. Wahrscheinlich würde ich dem Typ aber gar nicht antworten. Als transatlantische Tröte wäre er ja kaum satisfaktionsfähig.

Als „Nachrichtenflaggschiff“ und damit auch als Aushängeschild für einen guten Journalismus galt mal die Tagesschau. Wie ist das heute?

Bräutigam: Das war einmal. Der Kahn fährt heute unter Billigflagge und mit Schlagseite nach Steuerbord, aber unverdrossen auf Kriegstreiber-Kurs. Die Tagesschau ist zum Propagandasender verkommen. Sie ist ein äußerst wirksames Institut der Indoktrination. Der Erkenntniswert ihres Nachrichtenangebots orientiert sich am Kaloriengehalt einer Salatgurke. ARD-aktuell bedient elf Millionen Kunden täglich mit informationeller Hämorrhoidensalbe, die nun wirklich nicht jeder braucht. Wer Ohren hat, zu hören, der höre. Wer Augen hat, zu sehen, der schaue. Ich hoffe für ihn, dass er sich dabei keine schweren Wahrnehmungsschäden und mentalen Störungen einfängt. Die Gefahr besteht nämlich für chronische Tagesschau-Konsumenten, die sich mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk begnügen.

Sie sprechen von einer „eurozentrischen Arroganz“ und einer „USA-hörigen Gefolgschaftstreue“. Was meinen Sie damit?

Bräutigam: Das sind Begriffe aus meinem Schatzkästlein: Gegenmittel gegen die vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk verbreitete Ideologie „Wir sind die Guten“; Widerworte gegen den Aberglauben, wir seien der Nabel der Welt; Reaktion auf den journalistischen Betrugsversuch, die USA als unseren „Freund“ darzustellen, der unsere Sicherheit garantiere, unsere Freiheit, unsere Demokratie. Wirklichkeitsfremder kann unsere hündische Vasallentreue zum selbstherrlichen, völkermörderischen US-Imperium doch gar nicht dargestellt werden.

Die USA führen längst einen Wirtschaftskrieg gegen Westeuropa, speziell gegen Deutschland. US-Präsident Biden sagt, er werde garantiert verhindern, dass die Nord-Stream-Gasröhren in Betrieb gehen. Kanzler Scholz steht daneben, grient dümmlich und schweigt. Und die Tagesschau fragt ihn nicht mal, ob er grad wieder eine Erinnerungslücke hatte. Am Ende, nach dem großen Knall in der Ostsee, „rätselt“ sie sogar groß, wer da wohl die Hand im Spiel hatte. Das nenne ich Publikumsverhöhnung.

Der ÖRR bietet der Öffentlichkeit einen Polit-Talk an. Hier soll es um „Diskussion“ gehen, also um die Herstellung auch von Öffentlichkeit zu wichtigen Themen. Prinzip: unterschiedliche Meinungen, Betrachtungen, Analysen von einer Vielzahl an herausragenden, klugen Persönlichkeiten – alles im besten Sinne einer demokratischen Öffentlichkeit, gelebter Pluralismus. Wie sieht die Realität aus?

Klinkhammer: Die Talkshows sind nach meiner Überzeugung penetrante Diskussionsforen, die den Menschen vorführen, was und wie sie denken sollen. Sie sind Instrumente für betreutes Denken und für die Uniformierung der öffentlichen Meinung. Mit Angeboten für eine unabhängige, selbstständige, freie Meinungsbildung haben sie nichts gemein.

Warum ist das so?

Klinkhammer: Eine mir bekannte Untersuchung über Talkshows in der ARD besagt unter anderem, dass zwei Drittel aller Gäste aus Politik und Medien kommen; 8,8 Prozent aus der Wissenschaft; 6,4 Prozent aus der Wirtschaft; 2,7 Prozent aus der organisierten Zivilgesellschaft. Acht von zehn Gästen aus der Wirtschaft repräsentieren die Unternehmerseite, nur zwei die Gewerkschaften und den Verbraucherschutz, obwohl sie das höchste Vertrauen in der Bevölkerung genießen. Bei der Auswahl der Diskussionsteilnehmer folgen die Veranstalter dem Grundsatz „Prominenz vor Kompetenz“. Man will eben mit „bekannten Gesichtern“ hohe Einschaltquoten machen. Die gelten als Erfolgsnachweis solcher Sendungen. Ergo diskutieren die „da oben“ unter sich, an den Bedürfnissen und Interessen weiter Teile der Bevölkerung vorbei.

Bei Themen, die uns alle angehen – wie „Krieg und Frieden“ –, hat die Kriegstreiber-Fraktion aus Politik und Gesellschaft Vorrang. Eloquente Kriegsgegner wie Sahra Wagenknecht werden gelegentlich eingeladen, aber nur, um sie abzuwatschen und um die eigene Kriegsgeilheit besser hervorzuheben. Alternative Positionen mit Persönlichkeiten wie Gabriele Krone-Schmalz, Albrecht Müller, Oskar Lafontaine, Gerhard Schröder, die Ex-Generale Kujat und Vad, die Wissenschaftler Prof. Meyen und Dr. Daniele Ganser werden ferngehalten. Deshalb ist klar: Die Talkshows sind nichts anderes als teure Showbühnen für mittelmäßige Vertreter der herrschenden Eliten. Das Angebot: alltägliches Gewäsch, Mainstream-Gelaber.

Was kostet denn die Produktion dieser Sendungen?

Klinkhammer: Seit ungefähr zehn Jahren veröffentlicht die „Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs“ keine Zahlen mehr über die Kosten der Talkshows. Offensichtlich schämt man sich wegen der Höhe der überhaupt nicht zu rechtfertigenden Ausgaben. Deshalb bin ich bei Ihrer Frage auf Schätzungen angewiesen: Anne Will und ihre private Produktionsfirma sollen beispielsweise für die sonntagabendlichen Talkshows des NDR für die ARD pro Sendung rund 250.000 Euro bekommen haben. Im Vergleich dazu: Eigenproduktionen des NDR, von seinen Leuten hergestellte Talkshows, kosten nach meiner Kenntnis nur rund ein Fünftel dieser Summe.

Weitere Daten zu Talkshows im Lauf der Woche: Für „Hart aber fair“ wurden dem Vernehmen nach knapp 200.000 Euro und für „Maischberger“ rund 150.000 Euro pro Sendung bezahlt – aus den Rundfunkbeiträgen verschleudert.

Also sehr viel Geld – für Einseitigkeit.

Klinkhammer: Sicherlich. Andererseits: Wegen der bedeutenden Auswirkungen auf die Meinungsbildung im Lande – Zementierung der herrschenden Ideologie im Sinne der Eliten in Politik und Gesellschaft – sind das Peanuts.

Seit mehreren Jahren beschäftigt die Medien das Thema Krieg. Haben Sie in einer der großen Talkshows Personen aus der Friedensbewegung gesehen?

Bräutigam: Bedauere, für eine schlüssige Antwort bin ich nicht kompetent. Ich schaue mir seit vielen Jahren keine Talkshow mehr an. Ich habe gelesen, dass die Kriegsgegnerin Sahra Wagenknecht häufig eingeladen wurde – immerhin. Aber, wie eben schon von Friedhelm angemerkt, anscheinend vorzugsweise in der Absicht, sie als antiwestliche gefährliche Systemgegnerin hinzustellen, die keine „kriegstüchtige“ Bundeswehr will. Sie dient wohl mehr als Feigenblatt.

Wir alle haben es gehört: Deutschland soll „kriegstüchtig“ werden. Würden Sie für uns den Journalismus des ÖRR im Hinblick auf den Krieg und die „Kriegstüchtigkeit“ einordnen? Was fällt Ihnen auf? Was sehen Sie?

Klinkhammer: Mir fällt auf, dass die Kriegsschuld ausschließlich den Russen zugeschrieben wird. Wir hören praktisch nichts darüber, dass der Krieg eine Vorgeschichte hat. Zum Beispiel: Das Minsker Abkommen, ein völkerrechtlich wirksamer Vertrag zur Befriedung der Ukraine, wurde meiner Ansicht nach aufgrund nachträglicher Äußerungen von Poroschenko, Merkel und Hollande nur zum Schein abgeschlossen. Das heimliche Motiv dabei war, Zeit zu gewinnen, um die Ukraine „kriegstüchtig“ zu machen, also vor allem, sie durch die USA massiv aufzurüsten. Wir hören nichts darüber, dass die ukrainische Armee an den Grenzen zum Donbass acht Jahre lang einen mörderischen Kleinkrieg gegen ihre eigenen russischstämmigen Landsleute geführt hat, mit Abertausenden Toten. Aus der Sicht der russischen Föderation wurde der Krieg vom Westen provoziert, um Russlands Sicherheit zu untergraben.

Es würde der Glaubwürdigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dienen, auch über den russischen Standpunkt zu informieren, selbst wenn das den NATO-Interessen widerspräche. Aus meiner Sicht ist es absurd und abenteuerlich, den Russen Kriegsabsichten gegen den Westen zu unterstellen, um daraus das Erfordernis einer „deutschen Kriegstüchtigkeit“ ableiten zu können. Warum sollten die Russen einen Krieg gegen die NATO und womöglich einen Atomkrieg riskieren? Was hätten sie vom Einmarsch in ein kriegszerstörtes Westeuropa, unter Hinnahme ungeheurer eigener Verluste und hunderttausendfacher eigener Todesopfer? Es ist blödsinniges Gerede eines Verteidigungsministers, dem man anmerkt, dass er seine provinzielle Herkunft nicht überwunden hat. Wenn nun, wie ich kürzlich las, auch eine leitende ZDF-Journalistin nach „deutscher Kriegstüchtigkeit“ plärrt, fasst man sich an den Kopf. Wozu wohl wurde in den Medienstaatsverträgen und im Grundgesetz für Politiker und Journalisten die Verpflichtung auf den Frieden verankert?

Was müsste ein qualitativ hochwertiger Journalismus liefern?

Bräutigam: Jetzt werde ich doch noch wehmütig. Anstelle einer ausführlichen Beschreibung dessen, was ich für seriösen Journalismus halte, erinnere ich hier lieber an journalistische Vorbilder. Einige ihrer Arbeiten kann sich jeder im Internet anschauen und sich selbst einen Eindruck machen: Sebastian Haffner. Günter Gaus. Barbara Dickmann. Ernst Klee. Gerhard Kromschröder. Marie-Monique Robin. Gabriele Krone-Schmalz. Fritz Pleitgen. Friedrich Nowottny. Peter Scholl-Latour.

In Ihrem Buch gehen Sie auch auf den russischen Staatssender RT ein.„Die Tagesschau ist zum Propagandasender verkommen“

08. November 2024 um 9:00 Ein Artikel von Marcus Klöckner

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist am Ende:

Aber ein Ende ist nicht in Sicht“ – unter diesem Titel haben

Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer ein Buch veröffentlicht, das sich auch als der finale Abgesang auf die Tagesschau bezeichnen lässt. Beide haben Jahrzehnte beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) gearbeitet. Mit Kritik am ÖRR halten sich Klinkhammer und Bräutigam nicht zurück. Ihre Auseinandersetzung mit der Tagesschau zeigt den Abgrund des öffentlich-rechtlichen Nachrichtenjournalismus. Im NachDenkSeiten-Interview verdeutlichen Bräutigam und Klinkhammer, wie „politische Meinungsmache“ und „publizistischer Machtmissbrauch“ aussehen. Ihr Fazit: „Der real existierende öffentlich-rechtliche Rundfunk ist nicht reformierbar.“

Von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

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Marcus Klöckner: Herr Klinkhammer, Herr Bräutigam, Sie haben sich gerade auf 240 Seiten mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) auseinandergesetzt. Nach der Lektüre Ihres Buches ist der Eindruck: Wir leisten uns für viel Geld einen Rundfunk, der in weiten Teilen einen katastrophalen Journalismus abliefert. Würden Sie bitte kurz zum Einstieg in das Interview zusammenfassend die Schwachstellen ansprechen?

Bräutigam: Wenn‘s denn nur Schwachstellen wären! Aber wir haben über Selbstzensur zu reden, über politische Meinungsmache, selbstherrlichen publizistischen Machtmissbrauch, bewusste Falschinformation. Höflich, aber nachdrücklich erinnere ich daran: Der Gesetzgeber hat die Kernaufgabe des Rundfunks und Fernsehens bestimmt und diesbezüglich keinerlei Spielraum gelassen: „Freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung garantieren. Der Meinungsvielfalt verpflichtet sein“. Rundfunk und Fernsehen haben, ich zitiere, „… Nachrichten vor ihrer Verbreitung … auf Wahrheit und Herkunft zu prüfen“ und beispielsweise die Pflicht, „der Verständigung unter den Völkern zu dienen“.

Gegen diesen Auftrag verstößt der öffentlich-rechtliche Rundfunk nachhaltig. Das Informationsangebot der Gebührensender ARD, ZDF und Deutschlandradio, speziell die Nachrichtensendungen, ist nicht vielfältig, nicht auf Wahrheit und Herkunft geprüft. Es handelt sich also nicht nur um „Schwachstellen“. Wir müssen von Nachrichten-Unterschlagung und demokratieschädigendem Infotainment-Gift sprechen. Zu den Risiken und Nebenwirkungen des Tagesschau-Konsums gehört, dass man davon Pickel kriegt – und ‘nen dicken Hals.

Schon ein Blick in das Inhaltsverzeichnis zeigt, bei welchen Themen Ihre Kritik angebracht wird. Da geht es unter anderem um Russland, China und Armut in Deutschland. Und Sie sprechen auch die fehlende Distanz zu den Mächtigen an. Beginnen wir doch damit. Abstand zu denen „da oben“, das heißt: kein Journalismus, der sich in ideologische Komplizenschaft verstrickt – das ist elementar für einen glaubwürdigen Journalismus. Wie sieht das nun im ÖRR aus?

Klinkhammer: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist gesetzlich verpflichtet, politische Öffentlichkeit herzustellen, das heißt: Er muss die Politik der Parteien nach außen vermitteln. Er dient damit den Parteien und profitiert dabei auch selbst, solange die Parteien die Rahmenbedingungen für seine weitere Existenz verteidigen – eine Symbiose, nützlich für beide Seiten. Daraus entsteht eine Komplizenschaft, geprägt von gegenseitiger Rücksichtnahme: „Ihr sichert uns die Existenzgrundlage als Sendeanstalten, und wir tun Euch journalistisch nicht weh.“ Lange ist es her, dass die parteipolitischen Meinungsführer offen gegen kritische Beiträge in Funk und Fernsehen („Rotfunk“) zu Felde zogen. Kritik an gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen ist im Wesentlichen Vergangenheit, heute ist Anpassung die Regel. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat die ihm ursprünglich zugedachte Funktion als Kontrollorgan der Gesellschaft gegenüber ihrer Staatsführung, die Funktion der „Vierten Gewalt“, faktisch aufgegeben. Stattdessen ist Anpassung angesagt …

Woran machen Sie Ihre Kritik fest? Haben Sie ein Beispiel?

Klinkhammer: Tina Hassel aus dem Hauptstadtbüro der Tagesschau behauptete kürzlich im Interview mit einer EU-Technokratin, ich zitiere: „Internationale Allianzen wie die BRICS-Staaten werden für bestimmte Länder attraktiv, weil diese Allianzen den Menschenrechten und der Rechtsstaatlichkeit keine Priorität einräumen.“

Reine Propaganda und obendrein eine Fehlinformation: Südafrika zum Beispiel, einer der BRICS-Staaten, ist ein Land, das jahrzehntelang unter Menschenrechtsverstößen – weitgehend vom „demokratischen“ Westen mitverursacht – gelitten hat. Zu unterstellen, es räume den Menschenrechten heute keine Priorität ein, ist reine Denunziation und typische westliche Arroganz. Einer Journalistin des öffentlich-rechtlichen Rundfunks steht so etwas nicht zu. Offensichtlich merkt sie nicht einmal, dass sie sich damit auf die Stufe unfähiger Politiker wie Michael Roth oder Annalena Baerbock stellt, denen nichts anderes einfällt, als unliebsame andere Nationen zu diskreditieren und abzumeiern.

Solche journalistischen Fehlleistungen sind keine Ausnahme. Sie sind üblich.

Für einen objektiven, unabhängigen Journalismus bedeutet all das?

Klinkhammer: Es bedeutet, bezogen auf seinen Informationsauftrag, dass er im öffentlich-rechtlichen Rundfunkrahmen zu verkümmern droht.

Sie sprechen in Ihrem Buch von einem „Strategiepapier des Schönredens“. Was meinen Sie damit?

Klinkhammer: Wir diskutieren an der Stelle ein Strategiepapier der Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling. Sie ist bekannt geworden mit hervorragenden kritischen Medienanalysen. ARD-Hierarchen hatten ihr bzw. ihrem Institut zu meiner persönlichen Überraschung den Auftrag erteilt, sich im Rahmen der unendlichen „ARD-Strukturreform-Prozesse“ mit der Frage auseinanderzusetzen, wie man mit bewusster Sprachwahl bei der Selbstdarstellung öffentlich Sympathien erringen könne. Es ging Wehling darum, „der Institution ARD eine gedankliche Grundlage zu schaffen für eine Kommunikation, die auf Basis der unbestrittenen Fakten den tatsächlichen Wert des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die Demokratie schon auf den ersten Blick besser erkennbar macht“. Man brauche „Frames“, die hervorheben, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine „gemeinwohlorientierte Organisation“ ist und dass „es wichtig sei, dass Menschen auch weiterhin ihren Beitrag dazu leisten“. Man wolle weg von Diskreditierungen wie „Lügenpresse“ und Ähnlichem. Auf Neudeutsch ging es also um „Public Relations“, PR.

Erreicht ist das Ziel bis heute nicht. Der „Wert des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Bewusstsein der Menschen“ ist keineswegs überragend: Die Verweildauer nimmt nach wie vor ab, der Zahlungsboykott hält an. Die „Kunden“ sind bald mehrheitlich im Rentenalter, die Jugend favorisiert die sogenannten Social Media. Der Begriff „Lügenpresse“ ist längst etabliert und genießt in rechtskonservativen Kreisen große Beliebtheit.

Das „Strategiepapier“ ist ja schon etwas älter. Wie sieht es denn heute mit der verwendeten „Sprache“ aus. Was fällt Ihnen da auf?

Bräutigam: Nach wie vor und zunehmend: kommentierende Untertöne dort, wo unbedingt absolute Sachlichkeit herrschen müsste. Unsaubere, wertende, tendenziöse Wortwahl: „Machthaber“ statt Präsident, „Regime“ statt „Regierung“, „ungerechtfertigter völkerrechtswidriger Angriffskrieg“ und so weiter. Sätze in saumäßigem Deutsch, voller grammatischer Fehler und schwachsinniger Sprachbilder: „Deutschland ist gut aufgestellt“, „Auf gleicher Augenhöhe“, „Die Lage spitzt sich zu“, „Die Wirtschaft brummt“. Auch an gegendertem Unfug fehlt es nicht. Die Tagesschau kreierte sogar den Begriff „Gewerkschaftsmitgliederinnen“.

Sie gebrauchen den Begriff „Empörungsjournalismus“. Sehen Sie den auch im ÖRR?

Klinkhammer: Seit es Boulevardjournalismus gibt, wollen Medien, wann immer möglich, öffentliche Entrüstung erzeugen, denn die bewirkt erfahrungsgemäß erhöhte Aufmerksamkeit, die kommerzielle Medien oft schon wegen der Einschaltquoten bzw. der Auflagensteigerung benötigen. Eine nüchtern abwägende Berichterstattung ist diesbezüglich dem Empörungsjournalismus unterlegen.

Haben Sie auch dazu ein Beispiel?

Klinkhammer: Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk geht es bei der Unterscheidung der „Guten“ von den „Bösen“ in erster Linie um Propagandaeffekte. Darin ist der „Empörungsjournalismus erprobt: Gut gegen Böse. Jahrelang wurde der russische Präsident Putin vom westlichen Empörungsjournalismus dämonisiert. Ob es die angeblich von Putin veranlasste Vergiftung des Propagandisten Nawalny, das Verschwinden der in England lebenden Skripals oder die offenkundige Massaker-Inszenierung im ukrainischen Butscha war: Nach tagelang verbreiteten, unbewiesenen, massiv sich ständig wiederholenden Behauptungen sollte jedem klar geworden sein, wie er zu denken hatte. „Putin ist der Böse“, alles Gegenteilige ist „russische Desinformation“. Dabei zeigt sich erneut als bittere Tatsache, ich zitiere:

Wenn man eine große Lüge erzählt und sie oft genug wiederholt, dann werden die Leute sie am Ende glauben.“

Angenommen, Ihnen würde ein Intendant gegenübersitzen. Nehmen wir weiter an, der ÖRR-Mann würde sagen, dass Sie viel zu einseitig sind und in Wirklichkeit der Journalismus von ARD und ZDF höchsten Qualitätsstandards entspräche. Was würden Sie dem entgegnen?

Bräutigam: Er möge seinen rotzfrechen Versuch unterlassen, unsere Mitwelt für dumm zu verkaufen und meinen Verstand zu beleidigen. Wer seine Nachrichtensendungen ausschließlich aus dem Material transatlantisch genormter westlicher Nachrichtenagenturen zusammenkleistern und bewusst darauf verzichten lässt, „auch die andere Seite zu hören“, bevor über Konfliktfälle berichtet wird, der mag Intendant sein, ist aber kein Gesprächspartner über sauberen Journalismus. Wahrscheinlich würde ich dem Typ aber gar nicht antworten. Als transatlantische Tröte wäre er ja kaum satisfaktionsfähig.

Als „Nachrichtenflaggschiff“ und damit auch als Aushängeschild für einen guten Journalismus galt mal die Tagesschau. Wie ist das heute?

Bräutigam: Das war einmal. Der Kahn fährt heute unter Billigflagge und mit Schlagseite nach Steuerbord, aber unverdrossen auf Kriegstreiber-Kurs. Die Tagesschau ist zum Propagandasender verkommen. Sie ist ein äußerst wirksames Institut der Indoktrination. Der Erkenntniswert ihres Nachrichtenangebots orientiert sich am Kaloriengehalt einer Salatgurke. ARD-aktuell bedient elf Millionen Kunden täglich mit informationeller Hämorrhoidensalbe, die nun wirklich nicht jeder braucht. Wer Ohren hat, zu hören, der höre. Wer Augen hat, zu sehen, der schaue. Ich hoffe für ihn, dass er sich dabei keine schweren Wahrnehmungsschäden und mentalen Störungen einfängt. Die Gefahr besteht nämlich für chronische Tagesschau-Konsumenten, die sich mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk begnügen.

Sie sprechen von einer „eurozentrischen Arroganz“ und einer „USA-hörigen Gefolgschaftstreue“. Was meinen Sie damit?

Bräutigam: Das sind Begriffe aus meinem Schatzkästlein: Gegenmittel gegen die vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk verbreitete Ideologie „Wir sind die Guten“; Widerworte gegen den Aberglauben, wir seien der Nabel der Welt; Reaktion auf den journalistischen Betrugsversuch, die USA als unseren „Freund“ darzustellen, der unsere Sicherheit garantiere, unsere Freiheit, unsere Demokratie. Wirklichkeitsfremder kann unsere hündische Vasallentreue zum selbstherrlichen, völkermörderischen US-Imperium doch gar nicht dargestellt werden.

Die USA führen längst einen Wirtschaftskrieg gegen Westeuropa, speziell gegen Deutschland. US-Präsident Biden sagt, er werde garantiert verhindern, dass die Nord-Stream-Gasröhren in Betrieb gehen. Kanzler Scholz steht daneben, grient dümmlich und schweigt. Und die Tagesschau fragt ihn nicht mal, ob er grad wieder eine Erinnerungslücke hatte. Am Ende, nach dem großen Knall in der Ostsee, „rätselt“ sie sogar groß, wer da wohl die Hand im Spiel hatte. Das nenne ich Publikumsverhöhnung.

Der ÖRR bietet der Öffentlichkeit einen Polit-Talk an. Hier soll es um „Diskussion“ gehen, also um die Herstellung auch von Öffentlichkeit zu wichtigen Themen. Prinzip: unterschiedliche Meinungen, Betrachtungen, Analysen von einer Vielzahl an herausragenden, klugen Persönlichkeiten – alles im besten Sinne einer demokratischen Öffentlichkeit, gelebter Pluralismus. Wie sieht die Realität aus?

Klinkhammer: Die Talkshows sind nach meiner Überzeugung penetrante Diskussionsforen, die den Menschen vorführen, was und wie sie denken sollen. Sie sind Instrumente für betreutes Denken und für die Uniformierung der öffentlichen Meinung. Mit Angeboten für eine unabhängige, selbstständige, freie Meinungsbildung haben sie nichts gemein.

Warum ist das so?

Klinkhammer: Eine mir bekannte Untersuchung über Talkshows in der ARD besagt unter anderem, dass zwei Drittel aller Gäste aus Politik und Medien kommen; 8,8 Prozent aus der Wissenschaft; 6,4 Prozent aus der Wirtschaft; 2,7 Prozent aus der organisierten Zivilgesellschaft. Acht von zehn Gästen aus der Wirtschaft repräsentieren die Unternehmerseite, nur zwei die Gewerkschaften und den Verbraucherschutz, obwohl sie das höchste Vertrauen in der Bevölkerung genießen. Bei der Auswahl der Diskussionsteilnehmer folgen die Veranstalter dem Grundsatz „Prominenz vor Kompetenz“. Man will eben mit „bekannten Gesichtern“ hohe Einschaltquoten machen. Die gelten als Erfolgsnachweis solcher Sendungen. Ergo diskutieren die „da oben“ unter sich, an den Bedürfnissen und Interessen weiter Teile der Bevölkerung vorbei.

Bei Themen, die uns alle angehen – wie „Krieg und Frieden“ –, hat die Kriegstreiber-Fraktion aus Politik und Gesellschaft Vorrang. Eloquente Kriegsgegner wie Sahra Wagenknecht werden gelegentlich eingeladen, aber nur, um sie abzuwatschen und um die eigene Kriegsgeilheit besser hervorzuheben. Alternative Positionen mit Persönlichkeiten wie Gabriele Krone-Schmalz, Albrecht Müller, Oskar Lafontaine, Gerhard Schröder, die Ex-Generale Kujat und Vad, die Wissenschaftler Prof. Meyen und Dr. Daniele Ganser werden ferngehalten. Deshalb ist klar: Die Talkshows sind nichts anderes als teure Showbühnen für mittelmäßige Vertreter der herrschenden Eliten. Das Angebot: alltägliches Gewäsch, Mainstream-Gelaber.

Was kostet denn die Produktion dieser Sendungen?

Klinkhammer: Seit ungefähr zehn Jahren veröffentlicht die „Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs“ keine Zahlen mehr über die Kosten der Talkshows. Offensichtlich schämt man sich wegen der Höhe der überhaupt nicht zu rechtfertigenden Ausgaben. Deshalb bin ich bei Ihrer Frage auf Schätzungen angewiesen: Anne Will und ihre private Produktionsfirma sollen beispielsweise für die sonntagabendlichen Talkshows des NDR für die ARD pro Sendung rund 250.000 Euro bekommen haben. Im Vergleich dazu: Eigenproduktionen des NDR, von seinen Leuten hergestellte Talkshows, kosten nach meiner Kenntnis nur rund ein Fünftel dieser Summe.

Weitere Daten zu Talkshows im Lauf der Woche: Für „Hart aber fair“ wurden dem Vernehmen nach knapp 200.000 Euro und für „Maischberger“ rund 150.000 Euro pro Sendung bezahlt – aus den Rundfunkbeiträgen verschleudert.

Also sehr viel Geld – für Einseitigkeit.

Klinkhammer: Sicherlich. Andererseits: Wegen der bedeutenden Auswirkungen auf die Meinungsbildung im Lande – Zementierung der herrschenden Ideologie im Sinne der Eliten in Politik und Gesellschaft – sind das Peanuts.

Seit mehreren Jahren beschäftigt die Medien das Thema Krieg. Haben Sie in einer der großen Talkshows Personen aus der Friedensbewegung gesehen?

Bräutigam: Bedauere, für eine schlüssige Antwort bin ich nicht kompetent. Ich schaue mir seit vielen Jahren keine Talkshow mehr an. Ich habe gelesen, dass die Kriegsgegnerin Sahra Wagenknecht häufig eingeladen wurde – immerhin. Aber, wie eben schon von Friedhelm angemerkt, anscheinend vorzugsweise in der Absicht, sie als antiwestliche gefährliche Systemgegnerin hinzustellen, die keine „kriegstüchtige“ Bundeswehr will. Sie dient wohl mehr als Feigenblatt.

Wir alle haben es gehört: Deutschland soll „kriegstüchtig“ werden. Würden Sie für uns den Journalismus des ÖRR im Hinblick auf den Krieg und die „Kriegstüchtigkeit“ einordnen? Was fällt Ihnen auf? Was sehen Sie?

Klinkhammer: Mir fällt auf, dass die Kriegsschuld ausschließlich den Russen zugeschrieben wird. Wir hören praktisch nichts darüber, dass der Krieg eine Vorgeschichte hat. Zum Beispiel: Das Minsker Abkommen, ein völkerrechtlich wirksamer Vertrag zur Befriedung der Ukraine, wurde meiner Ansicht nach aufgrund nachträglicher Äußerungen von Poroschenko, Merkel und Hollande nur zum Schein abgeschlossen. Das heimliche Motiv dabei war, Zeit zu gewinnen, um die Ukraine „kriegstüchtig“ zu machen, also vor allem, sie durch die USA massiv aufzurüsten. Wir hören nichts darüber, dass die ukrainische Armee an den Grenzen zum Donbass acht Jahre lang einen mörderischen Kleinkrieg gegen ihre eigenen russischstämmigen Landsleute geführt hat, mit Abertausenden Toten. Aus der Sicht der russischen Föderation wurde der Krieg vom Westen provoziert, um Russlands Sicherheit zu untergraben.

Es würde der Glaubwürdigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dienen, auch über den russischen Standpunkt zu informieren, selbst wenn das den NATO-Interessen widerspräche. Aus meiner Sicht ist es absurd und abenteuerlich, den Russen Kriegsabsichten gegen den Westen zu unterstellen, um daraus das Erfordernis einer „deutschen Kriegstüchtigkeit“ ableiten zu können. Warum sollten die Russen einen Krieg gegen die NATO und womöglich einen Atomkrieg riskieren? Was hätten sie vom Einmarsch in ein kriegszerstörtes Westeuropa, unter Hinnahme ungeheurer eigener Verluste und hunderttausendfacher eigener Todesopfer? Es ist blödsinniges Gerede eines Verteidigungsministers, dem man anmerkt, dass er seine provinzielle Herkunft nicht überwunden hat. Wenn nun, wie ich kürzlich las, auch eine leitende ZDF-Journalistin nach „deutscher Kriegstüchtigkeit“ plärrt, fasst man sich an den Kopf. Wozu wohl wurde in den Medienstaatsverträgen und im Grundgesetz für Politiker und Journalisten die Verpflichtung auf den Frieden verankert?

Was müsste ein qualitativ hochwertiger Journalismus liefern?

Bräutigam: Jetzt werde ich doch noch wehmütig. Anstelle einer ausführlichen Beschreibung dessen, was ich für seriösen Journalismus halte, erinnere ich hier lieber an journalistische Vorbilder. Einige ihrer Arbeiten kann sich jeder im Internet anschauen und sich selbst einen Eindruck machen: Sebastian Haffner. Günter Gaus. Barbara Dickmann. Ernst Klee. Gerhard Kromschröder. Marie-Monique Robin. Gabriele Krone-Schmalz. Fritz Pleitgen. Friedrich Nowottny. Peter Scholl-Latour.

In Ihrem Buch gehen Sie auch auf den russischen Staatssender RT ein. Er wurde in der EU verboten. Sie stellen dieses Verbot in Zusammenhang mit Zensur. Warum?

Klinkhammer: Die Zensur besteht darin, dass dem russischen Sender von staatlicher Seite verboten wurde, sein Programm bei uns zu verbreiten. Dieses Sendeverbot wurde vom Europäischen Gerichtshof im Wesentlichen mit der Begründung gerechtfertigt, dass Russland einen Krieg gegen die Ukraine führt. Das darf man getrost als juristisch höchst fragwürdige Begründung bezeichnen. Auch hier greift ausschließlich die gängige Formel „Wir die Guten, die Russen die Bösen“. Bei den unzähligen brutalen Vernichtungskriegen der Vereinigten Staaten gegen andere Länder ist nie jemand auf die Idee gekommen ist, US-Sender irgendwo zu verbieten.

Wie ordnen Sie selbst den Sender RT ein? Positives? Negatives?

Bräutigam: RT ist ein typisches Medieninstitut der Russischen Föderation. Der Sender vermittelt selbstverständlich die russische Vorstellung vom Bild unserer Welt. Man kann darin auch Propaganda erkennen, aber damit unterscheidet er sich nicht prinzipiell von westlichen Sendern. Er liefert beispielsweise keine glaubwürdigen Informationen über die menschlichen und materiellen Verluste Russlands im Ukraine-Krieg, genau wie auch die Sender der ukrainischen und der westlichen Gegenseite solche Informationen unterschlagen oder fälschen. Im Unterschied zum deutschen Nachrichtenangebot befleißigt sich RT jedoch einer sachlichen Ausdrucksweise: „Machthaber“ gibt es da nicht. Wenn man sich selbst einen unverstellten Blick aufs Weltgeschehen verschaffen will, wenn man ohne transatlantische Scheuklappen Umschau halten möchte, übrigens auch in unserem inländischen Bereich, dann darf man nicht auf das RT-Angebot verzichten. Dann muss man zudem die russische Nachrichtenagentur Sputnik lesen, nicht nur die amerikanische Associated Press … Ist das nicht eigentlich eine bare Selbstverständlichkeit?

Wenn es um Russland geht, wird immer wieder in einer Art moralischem Über- und Unterordnungsverhältnis argumentiert. „Wir“ sind die „Guten“ – das steht ohnehin ohne jeden Zweifel, Russland, dort sind die „Bösen“. Diese Grundrahmung wird auch fortgesetzt, wenn es um russische Medien geht, oder? Alle Meldungen, die aus Russland kommen, müssen quasi per se Propaganda sein, während es in unseren Medien zum Glück gar keine Propaganda gibt. Wie ist es tatsächlich?

Klinkhammer: Die Einschätzung teile ich. Die Russen waren für den „Wertewesten“ schon immer die „Bösen“ – mit Ausnahme der für Russland verheerenden Ära Jelzin und Gorbatschow-Glasnost. Das eigentliche Motiv: Der Westen will den Zugriff auf die russischen Rohstoffe, am liebsten zum Nulltarif. Gegen dieses imperiale Vormachtstreben wehren sich die Russen selbstverständlich, deshalb sind sie die Bösen. Bei den deutschen Eliten kommt vermutlich hinzu: Man hat die vernichtende Niederlage gegen Russland noch immer nicht vollständig verdaut. Anders sind die täglichen Hasstiraden von SPD-Roth, Strack-Zimmermann oder CDU-Kiesewetter kaum zu erklären. Dass wir die „Guten“ sind, gilt aber nicht allein gegenüber den Russen, sondern auch gegenüber dem Rest der unliebsamen und unabhängigen Staaten dieser Welt. Motto: Wir haben die besseren Autos, die beste Demokratie und das einmalige, allerbeste Grundgesetz. Das sollen die anderen gefälligst kapieren.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass sich der Journalismus im ÖRR „sein eigenes Grab“ schaufele. Lassen wir ihn doch mal „zurückschaufeln“. Wie würde das aussehen? Und vor allem: Ist das überhaupt noch möglich?

Bräutigam: Möglich wohl, aber nicht wahrscheinlich. Die aktuelle Debatte über die Reform des Medienstaatsvertrags zeigt uns das wieder. Da stehen zwar die Beitragshöhe, Programmstrukturen und -angebote auf dem Prüfstand, von einer grundlegenden Änderung der Organisationsstruktur ist jedoch keine Rede. Nichts darüber, wie Meinungsvielfalt, Wahrheitstreue und Beiträge zur Völkerverständigung in den Programmen durchgesetzt und notfalls erzwungen werden könnten. Nichts über externe Programmbeobachtung und tatsächlich wirksame Programm-Nachkontrolle. Am untauglichen System der Rundfunkräte, dieser bräsigen Honoratioren-Klubs, wird nicht gerüttelt. Kein Wort über echte, effektive Mitwirkung der Öffentlichkeit, obwohl die für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk jährlich Milliarden an Pflichtbeiträgen bezahlt. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk spielt weiterhin den knechtischen Wasserträger der Angloamerikaner und suhlt sich dabei in Selbstgerechtigkeit. Er bietet die Gewähr zur Erfüllung des NATO-Basisauftrags, ich zitiere: „…to keep the Soviet Union out, the Americans in, and the Germans down.” Auf Deutsch: „… die Sowjetunion (heute also Russland) aus Westeuropa raushalten, die Amerikaner drinnen halten und die Deutschen niederhalten.“

Klinkhammer: Ich bin sicher: Der real existierende öffentlich-rechtliche Rundfunk ist nicht reformierbar, soweit es um das Programm geht; die politischen Abhängigkeiten sind nachhaltig implantiert und unumkehrbar. Kritischer Journalismus ist im öffentlich-rechtlichen Rundfunk out. Auch in Zukunft würde er dort nicht geduldet werden. Dabei ließen sich grundlegende Programmänderungen relativ einfach organisieren: Die bisherigen Redaktionen bräuchten nur aufgelöst und mit mutigen und kritikfähigen Journalisten wie Florian Warweg oder Paul Schreyer neu besetzt zu werden. Ein Traum.

Lesetipp:

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist am Ende:

Aber ein Ende ist nicht in Sicht. Fiftyfifty, 1. Edition, 4. September 2023, 284 Seiten, ISBN 978-3-946778-45-5, 24 Euro.

Titelbild: Shutterstock / Postmodern Studio

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Quelle: https://www.nachdenkseiten.de/?p=124272

Er wurde in der EU verboten. Sie stellen dieses Verbot in Zusammenhang mit Zensur. Warum?

Klinkhammer: Die Zensur besteht darin, dass dem russischen Sender von staatlicher Seite verboten wurde, sein Programm bei uns zu verbreiten. Dieses Sendeverbot wurde vom Europäischen Gerichtshof im Wesentlichen mit der Begründung gerechtfertigt, dass Russland einen Krieg gegen die Ukraine führt. Das darf man getrost als juristisch höchst fragwürdige Begründung bezeichnen. Auch hier greift ausschließlich die gängige Formel „Wir die Guten, die Russen die Bösen“. Bei den unzähligen brutalen Vernichtungskriegen der Vereinigten Staaten gegen andere Länder ist nie jemand auf die Idee gekommen ist, US-Sender irgendwo zu verbieten.

Wie ordnen Sie selbst den Sender RT ein? Positives? Negatives?

Bräutigam: RT ist ein typisches Medieninstitut der Russischen Föderation. Der Sender vermittelt selbstverständlich die russische Vorstellung vom Bild unserer Welt. Man kann darin auch Propaganda erkennen, aber damit unterscheidet er sich nicht prinzipiell von westlichen Sendern. Er liefert beispielsweise keine glaubwürdigen Informationen über die menschlichen und materiellen Verluste Russlands im Ukraine-Krieg, genau wie auch die Sender der ukrainischen und der westlichen Gegenseite solche Informationen unterschlagen oder fälschen. Im Unterschied zum deutschen Nachrichtenangebot befleißigt sich RT jedoch einer sachlichen Ausdrucksweise: „Machthaber“ gibt es da nicht. Wenn man sich selbst einen unverstellten Blick aufs Weltgeschehen verschaffen will, wenn man ohne transatlantische Scheuklappen Umschau halten möchte, übrigens auch in unserem inländischen Bereich, dann darf man nicht auf das RT-Angebot verzichten. Dann muss man zudem die russische Nachrichtenagentur Sputnik lesen, nicht nur die amerikanische Associated Press … Ist das nicht eigentlich eine bare Selbstverständlichkeit?

Wenn es um Russland geht, wird immer wieder in einer Art moralischem Über- und Unterordnungsverhältnis argumentiert. „Wir“ sind die „Guten“ – das steht ohnehin ohne jeden Zweifel, Russland, dort sind die „Bösen“. Diese Grundrahmung wird auch fortgesetzt, wenn es um russische Medien geht, oder? Alle Meldungen, die aus Russland kommen, müssen quasi per se Propaganda sein, während es in unseren Medien zum Glück gar keine Propaganda gibt. Wie ist es tatsächlich?

Klinkhammer: Die Einschätzung teile ich. Die Russen waren für den „Wertewesten“ schon immer die „Bösen“ – mit Ausnahme der für Russland verheerenden Ära Jelzin und Gorbatschow-Glasnost. Das eigentliche Motiv: Der Westen will den Zugriff auf die russischen Rohstoffe, am liebsten zum Nulltarif. Gegen dieses imperiale Vormachtstreben wehren sich die Russen selbstverständlich, deshalb sind sie die Bösen. Bei den deutschen Eliten kommt vermutlich hinzu: Man hat die vernichtende Niederlage gegen Russland noch immer nicht vollständig verdaut. Anders sind die täglichen Hasstiraden von SPD-Roth, Strack-Zimmermann oder CDU-Kiesewetter kaum zu erklären. Dass wir die „Guten“ sind, gilt aber nicht allein gegenüber den Russen, sondern auch gegenüber dem Rest der unliebsamen und unabhängigen Staaten dieser Welt. Motto: Wir haben die besseren Autos, die beste Demokratie und das einmalige, allerbeste Grundgesetz. Das sollen die anderen gefälligst kapieren.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass sich der Journalismus im ÖRR „sein eigenes Grab“ schaufele. Lassen wir ihn doch mal „zurückschaufeln“. Wie würde das aussehen? Und vor allem: Ist das überhaupt noch möglich?

Bräutigam: Möglich wohl, aber nicht wahrscheinlich. Die aktuelle Debatte über die Reform des Medienstaatsvertrags zeigt uns das wieder. Da stehen zwar die Beitragshöhe, Programmstrukturen und -angebote auf dem Prüfstand, von einer grundlegenden Änderung der Organisationsstruktur ist jedoch keine Rede. Nichts darüber, wie Meinungsvielfalt, Wahrheitstreue und Beiträge zur Völkerverständigung in den Programmen durchgesetzt und notfalls erzwungen werden könnten. Nichts über externe Programmbeobachtung und tatsächlich wirksame Programm-Nachkontrolle. Am untauglichen System der Rundfunkräte, dieser bräsigen Honoratioren-Klubs, wird nicht gerüttelt. Kein Wort über echte, effektive Mitwirkung der Öffentlichkeit, obwohl die für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk jährlich Milliarden an Pflichtbeiträgen bezahlt. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk spielt weiterhin den knechtischen Wasserträger der Angloamerikaner und suhlt sich dabei in Selbstgerechtigkeit. Er bietet die Gewähr zur Erfüllung des NATO-Basisauftrags, ich zitiere: „…to keep the Soviet Union out, the Americans in, and the Germans down.” Auf Deutsch: „… die Sowjetunion (heute also Russland) aus Westeuropa raushalten, die Amerikaner drinnen halten und die Deutschen niederhalten.“

Klinkhammer: Ich bin sicher: Der real existierende öffentlich-rechtliche Rundfunk ist nicht reformierbar, soweit es um das Programm geht; die politischen Abhängigkeiten sind nachhaltig implantiert und unumkehrbar. Kritischer Journalismus ist im öffentlich-rechtlichen Rundfunk out. Auch in Zukunft würde er dort nicht geduldet werden. Dabei ließen sich grundlegende Programmänderungen relativ einfach organisieren: Die bisherigen Redaktionen bräuchten nur aufgelöst und mit mutigen und kritikfähigen Journalisten wie Florian Warweg oder Paul Schreyer neu besetzt zu werden. Ein Traum.

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Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist am Ende:

Aber ein Ende ist nicht in Sicht. Fiftyfifty, 1. Edition, 4. September 2023, 284 Seiten, ISBN 978-3-946778-45-5, 24 Euro.

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Kanzler Scholz braucht noch einen Wahrheitsminister – Unser Leben in einer Gesellschaft mit staatlich geschütztem Meinungsmonopol / Zensur zerstört die Rechtsstaatlichkeit

Erstellt von Redaktion am 9. November 2024

Kanzler Scholz braucht noch einen Wahrheitsminister

Unser Leben in einer Gesellschaft mit staatlich geschütztem Meinungsmonopol / Zensur zerstört die Rechtsstaatlichkeit

 

Von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam

Wozu selbst eine Annäherung ans Thema schreiben, wenn man einen schönen Tucholsky zitieren kann? „Der Mensch ist ein politisches Geschöpf, das am liebsten zu Klumpen geballt sein Leben verbringt. Jeder Klumpen hasst die anderen Klumpen, weil sie die anderen sind, und die eigenen Klumpen, weil sie die eigenen sind. … Menschen miteinander gibt es nicht. Es gibt nur Menschen, die herrschen, und solche, die beherrscht werden.“ Wir müssen uns bedauerlicherweise mehrheitlich zur zweiten Sorte Mensch rechnen. So arg von der ersten „beherrscht“, dass wir uns von ihr sogar die Meinung verbiegen bzw. verbieten lassen. Der deutsche Michel ergibt sich der Zensur meist widerstandslos – wie eh und je.

Ein führender Grünen-Politiker erklärte jüngst „Gerade in diesen Zeiten ist das Grundgesetz unser Kompass“. Das hat weniger Nutzwert als ein Stapel gebrauchter Abfalltüten. Es sind schließlich hierzulande wie überall im „Wertewesten“ die „demokratischen“ Polit-Eliten, die sich nicht die Bohne um die Grundrechte scheren.

Die Grundrechte sind in erster Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat“,

urteilte das Bundesverfassungsgericht anno 1958 bezüglich der Meinungsfreiheit. Das ist lange her. Die meisten unserer politischen Auftragnehmer lassen sich, soweit sie das Urteil überhaupt kennen, davon garantiert nicht beirren. Ihre fortwährenden propagandistischen Bekenntnisse zu den Menschenrechten übertünchen nur die dem Wahlvolk entgegengebrachte Herablassung. Im Übrigen dienen sie dazu, sich anderen Ländern gegenüber zu erhöhen.

Entsprechend aufgeblasen heißt es auf den Web-Seiten des Baerbock-Ministeriums: 

Das Grundgesetz garantiert … nicht nur die Menschenrechte in Deutschland, sondern verpflichtet uns, uns auf der ganzen Welt für den Schutz der Würde und der Grundfreiheiten der Menschen einzusetzen.

Ein Heißluftballon, aufgeheizt mit Anmaßung und missionarischem Eifer; angesichts der zahllosen erpresserischen Aktivitäten der deutschen Außenpolitik eine absurde Heuchelei. Deutsche Regierungen haben (wie die meisten westlichen Länder, voran die USA) unzählige Konflikte provoziert, „Farbrevolutionen“ unterstützt, Kriege (herbei)geführt und mit wirtschaftlichen und anderen Repressionen dazu beigetragen, dass Millionen Menschen getötet, verstümmelt, zur Flucht getrieben und rundum ihrer Menschenwürde beraubt wurden. Passend dazu ein Statement des Friedensnobelpreisträgers Nelson Mandela:

Wenn zwei Nachbarländer gegeneinander kämpfen, dann weißt du, dass die USA eines davon besucht hatten.“

Wo blieben die Menschenrechte im transatlantischen Herrschaftsbereich?

Egon Bahr (1922-2015), hochrespektierter SPD-Politiker, hatte den aktuell wieder von den Grünen aufgetischten, anscheinend unausrottbaren Stuss „Menschenrechte-geleitete Politik“ schon vor Jahren im Kreis von Schülern entlarvt:

In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“

Kriminelle Einmischung

Die Wahrung der Menschenrechte ist eine Obliegenheit der Vereinten Nationen. Die deutsche Regierung hat diesbezüglich gegenüber anderen Staaten keine Eingriffsrechte. Ihre Einmischung in die vorgeblich menschenrechtswidrige Politik missliebiger Staaten, häufig mit Wirtschafts- und anderen Sanktionen verbunden, ist schierer Völkerrechtsbruch. Das begleitende Aufhetzen von Bevölkerungsgruppen gegeneinander dient lediglich der Destabilisierung und einem angestrebten Umsturz. In Syrien, Venezuela, Hongkong und Weißrussland gelang das nicht; in der Ukraine und in Libyen schon. Demokratie und Menschenrechte kamen dabei bekanntlich nicht zum Zuge. Die heimgesuchten Völker wurden in Chaos und Elend gestürzt.

Typisch deutsche Doppelmoral und damit Unmoral: Anpassungsdruck wird nur auf unliebsame Staaten ausgeübt. 

Auf Russland zum Beispiel. Die Trampoline im Berliner Außenamt will unseren europäischen Nachbarn bekanntlich „ruinieren“. Ihr gehässiger, dummdreister Spruch blieb als eine der übelsten Fehlleistungen der deutschen Außenpolitik im kollektiven Gedächtnis haften. Nach der letzten Präsidentenwahl in Russland zeterte Baerbock, wie üblich so schlecht informiert wie vorlaut:

Der Wahlvorgang zeigt nicht nur das ruchlose Vorgehen Putins gegenüber seinem eigenen Volk, sondern auch gegen die Charta der Vereinten Nationen“.

Eine intellektuell wenigstens halbwegs anspruchsvolle Begründung oder gar Belege für den Schmäh hatte die unreif wirkende Quasselstrippe nicht zu bieten. Die Tagesschau verbreitete ihr Geschwafel trotzdem. Wolf Schneiders journalistische Mahnung,

typische Lügen der Politiker nicht in den Stand der Wahrheit zu erheben,

ignoriert die grün versiffte Redaktion ARD-aktuell gewohnheitsmäßig. Die journalistischen Berufskrankheiten – Rückgratverkrümmung und Schleimbeutelentzündung – therapiert man bei ARD-aktuell mit regierungsfrommer Gefolgschaftstreue.

Beleg für Prinzipien- und Charakterlosigkeit: Über Saudi-Arabien äußern sich unsere Berliner Regierenden und ihre journalistischen Wasserträger nur pastoral säuselnd. Baerbock in ihrem verkorksten Deutsch:

Es ist kein Geheimnis, dass uns im Bereich der Menschenrechte immer noch vieles teilt.

Dass sie einer „islamistischen Kopf-ab-Diktatur“ Aufwartung macht, wird dem Zuschauer nicht vermittelt.

Blutige Imperien

Der Staatsterrorismus Israels ist natürlich vollends tabu. Weder unsere Regierung noch die Leit- und Konzernmedien gebrauchten je diese angemessene Qualifizierung, nicht einmal, als das israelische Militär die extralegale Hinrichtung des Libanesen Nasrallah mittels einer 900-Kilo-Bombe (!) besorgte, zugleich mehrere Hochhäuser in Beirut zerstörte und deren mindestens 600 Bewohner ermordete. Deutschland liefert trotz des israelischen Völkermords in Gaza weiterhin Großwaffen an Israel. Menschenrechte…?

Im Irak verbleibt eine räuberische Besatzungstruppe der USA, obwohl das Parlament und die Regierung in Bagdad die Amis wiederholt zum Verschwinden aufgefordert haben. In den USA, dem „Land der Freien, Heimat der Tapferen gilt bis heute ein verrottetes Wahlsystem, das demokratischen Maßstäben Hohn spricht. Der Titel „Verrohte Staaten von Amerika“, bezogen auf die (von der UNO geächtete) Todesstrafe und deren grausame Praxis, trifft auf den Punkt. Haben wir jemals von Vorstößen Baerbocks oder gar ihres „Ich-kann-mich-nicht-erinnern“-Gummibärchen-Kanzlers gehört, die USA sollten gefälligst damit aufhören und zuallererst einmal ihr Folterlager in Guantanamo schließen? Menschenrechte?

Was menschenrechtsfeindlich ist und was nicht, bestimmen die Eliten des Wertewestens nach Bedarfslage. Die zynische Gesinnungslumperei der Bundesregierung, Russland einen „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg“ gegen die Ukraine vorzuwerfen und zugleich mit Geld und Waffen alles dafür zu tun, dass er nicht endet, ist nicht mehr steigerungsfähig.

An die eigene Nase gefasst

Wie steht es, menschenrechtlich betrachtet, bei uns hierzulande? Zum Beispiel mit dem grundgesetzlich garantierten Recht auf Informationsfreiheit? Dazu gehen wir jetzt erst mal andachtsvoll in die Knie, legen die Hände zusammen und lauschen unseren europäischen und deutschen Gesetzgebern:

Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben“

heißt es wortgleich in Artikel 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und der Europäischen Menschenrechtskonvention. Und im deutschen Grundgesetz:  

Jeder hat das Recht, seine Meinung … frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten … Eine Zensur findet nicht statt.

Ampelregierung, Justizbehörden, Mainstream-Medien und Verfassungsschutz blasen den Weihrauch gleich wieder fort. Der Pferdefuß des hehren Gesetzes:

Die Ausübung dieser Freiheiten … kann Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Straf­drohungen unterworfen werden, die … notwendig sind für die nationale Sicherheit … oder … zur Aufrechterhaltung der Ordnung…“ 

Das ist so schön schwammig, dass sich damit die Hüpfburgen sämtlicher Berliner Kindertagesstätten auskleiden ließen. Im Alltag des erwachsenen Bürgers wirkt die gesetzliche Begrenzung der Informationsfreiheit faktisch wie deren Abschaffung. Staatliche Bevormundung und Meinungsdirigismus führen eben zum betreuten Denken, vorzugsweise bei der Journaille.

Wir erleben weitgehend eine Gleichschaltung der Medien, wie ich sie so in der Bundesrepublik noch nie erlebt habe. Das ist pure Meinungsmache. Und zwar nicht im staatlichen Auftrag, wie es aus totalitären Regimen bekannt ist, sondern aus reiner Selbstermächtigung.“

Falls tatsächlich nicht „im staatlichen Auftrag“, dann jedenfalls in Erfüllung staatlicher Erwartung.

Wie kam es dazu? Frischen wir unser Gedächtnis auf: Den Alltag belastend begann der erbitterte Meinungskampf mit der hässlichen AgitProp in der Corona-Debatte. Es folgte der Ukraine-Streit. Denn:

Eine der größten und gefährlichsten Medienlügen dieser Zeit ist, dass Putin einen ‚unprovozierten Krieg‘ in der Ukraine begonnen habe.“

Eine von den USA und ihren Vasallen initiierte und durchgesetzte Medienlüge. Als dieser Krieg im Februar 22 ins Zentrum der Geopolitik rückte, sperrte die EU-Polit-Elite im Blitzverfahren und ohne jegliche parlamentarische Beteiligung die weit verbreiteten russischen Medien aus. Sie beherzigte einen Lehrsatz Montesquieus:

Unbedingter Gehorsam setzt Unwissenheit bei den Gehorchenden voraus.“

Rossiya Segodnja ist die wichtigste russische öffentlich-rechtliche Rundfunkgruppe. Sie betreibt sechs Fernsehkanäle (RT-Gruppe), Nachrichtenagenturen (Sputnik, RIA-Novosti) und Websites (Voice of Europe). Ihre Angebote sind jetzt im transatlantischen Westeuropa komplett verboten. Besonders Russland today (derzeit noch erreichbar per https://dert.online), in Deutschland nach wie vor beliebt (bei YouTube z.B. vor dem Verbot 600 000 Abonnenten), ist den Herrschenden seit eh und je ein Dorn im Auge. Es berichtet eben auch über Ereignisse und Standpunkte, die von den regierungshörig gleichgeschalteten Mainstreammedien verschwiegen wurden.

Der Europäische Gerichtshof entschied, dass das vom Rat der Europäischen Union verfügte Verbot berechtigt sei, da eine

ernste Bedrohung des Friedens an den Grenzen der Europäischen Union“ bestanden habe. … „Die Russische Föderation habe Fakten manipuliert und eine Propagandakampagne gestartet, die den Angriff auf die Ukraine legitimieren sollte.

Ein hanebüchen konformistisches Urteil, erwirkt für den EU-Rat, einen jeglicher parlamentarischen Kontrolle entzogenen Kungelclub der EU-Regierungschefs. Es macht deutlich, dass im Zweifel – wie zu obrigkeitsstaatlichen und faschistischen Zeiten – die Pressefreiheit nur von Herrschafts Gnaden abhängt – und dass EU-Richter nur wird, wer ins politische System passt. Der Negativ-Beweis: Dass die deutsche Regierung eine Führungsrolle beim völkerrechtswidrigen und mörderischen Angriffskrieg gegen Jugoslawien hatte, kam nie vor Gericht und wurde auch nie in der Tagesschau angesprochen.

Immer die gleiche Leier

Hier noch eine kleine Portion Realsatire: Tagesschau & Co. müssen laut Gesetz zwar die Grundsätze der Objektivität und der Unparteilichkeit achten, dürfen und können aber ihre Informationen nur aus „westlichen“ Quellen zapfen, weil die russischen eben verboten sind. Wie das zusammen gehen soll, wissen die Götter. Der Schöpfer des Hohelieds auf das deutsche Deppentum Ein Loch ist im Eimer, Karl-Otto hat sich vermutlich vom Dauerlauf gegen die Gummiwand unseres staatlichen Meinungsmonopols inspirieren lassen.

Den Bürgern wird mittels Zensur das Recht genommen, sich aus allen allgemein zugänglichen Quellen zu unterrichten. Sie haben den stereotypen transatlantischen Propagandadreck zu fressen und basta. Der Wille, abweichende Meinungen und Betrachtungsweisen zu unterdrücken oder sie verächtlich zu machen, prägt längst nicht mehr nur die Nachrichten über Russland und China. Er ist auch im innenpolitischen Diskurs überdeutlich spürbar. Er richtet sich gegen die bewussten kritischen Medien und gleichermaßen gegen oppositionell eingestellte Mitbürger. Die Auseinandersetzung beispielsweise mit der AfD zeigt bereits Ansätze von Hysterie. Sie bewirkt eine kaum noch überbrückbare Spaltung unserer Gesellschaft.

Der Inlands-Geheimdienst, fälschlich „Verfassungsschutz“, versucht außerhalb jeder Rechtsgrundlage seit geraumer Zeit, den Meinungsstreit mittels Verleumdung und Denunziation zu lenken. So veröffentlichte das Bayrische Landesamt kürzlich einen Bericht, in dem behauptet wurde, bewusste Medien wie Nachdenkseiten, Berliner Zeitung und Freitag publizierten Inhalte, 

die anscheinend grundsätzlich ins russische Narrativ passen“

Nach massiver Kritik erklärten sich die perfiden Dunkelmänner für „missverstanden“. Ihr Bericht wurde korrigiert. Der Vorwurf, die Nachdenkseiten verbreiteten „russische Narrative“, bleibt aber aufrechterhalten. Kritik an mangelnder Rechtsstaatlichkeit der Ukraine ist in den Augen deutscher Geheimdienstler also ein „russisches Narrativ“: Schamloser und hirnrissiger geht nicht.  

Der Vizepräsident des Bundestages und FDP-Politiker Wolfgang Kubicki erklärte kürzlich zwar, es sei nicht hinnehmbar,

dass sich die Bundesregierung und nachgeordnete Behörden am Ende dazu aufschwingen, für die Menschen im Land ‚richtig‘ und ‚falsch‘ zu definieren.“

Aber dem Meinungsdirigismus der Ampelregierung – „Grüne Zensur, gelbe Heuchelei – tut das keinen Abbruch.

Kritik wird angeprangert

Gegen kritisch-bewusste Medien ziehen mittlerweile auch die staatsnah organisierten Landes-Medienanstalten (überwiegend finanziert aus den Rundfunkbeiträgen) zu Felde, mit „Bearbeitungsgebühren“ bis 800 Euro pro Fall. Seit der letzten Änderung des Medienstaatsvertrages sind diese Aufseher der Landesregierungen dazu übergegangen, unliebsame Internet-Beiträge auf Beachtung der „journalistischen Sorgfaltspflicht“ zu prüfen – offensichtlich, um kritische Internet-Publizisten einzuschüchtern, in finanzielle Schwierigkeiten zu bringen und mundtot zu machen. Fachlich inkompetent, jedoch auf Basis eines Zensur-Gesetzes, das nur für Internet-Medien gilt, nicht für alle anderen. Demnach ein hochproblematisches Sondergesetz, der Konstruktion nach aus finsteren Zeiten bekannt.

Eine weitere, recht ekelhafte Variante der staatlichen Einflussnahme auf den Meinungsdiskurs ist die massive finanzielle Unterstützung privater Organisationen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, unerwünschte Meinungen zu diskreditieren und zu kontern. Das Schmiergeld für die medialen Blockwarte beispielsweise des Unternehmens CORRECTIV betrug 2023 mehr als 430.000 Euro. Das Zentrum Liberale Moderne, als GmbH vom grün-russophoben Ehepaar Marieluise Beck und Ralf Fücks gegründet, griff besonders erfolgreich Staatsknete ab: Laut Antwort der Bundesregierung auf Anfrage der Linken wurde es seit 2018 mit mehr als 4.4 Millionen Euro gefördert. Eines seiner wichtigsten Projekte namens „Gegneranalyse“ hat sich der aggressiven Kritik oppositioneller kritischer Medien verschrieben. Befund: Denunziatorische Drecksarbeit, von der Bundesregierung finanziert. 

Mehrheit bezweifelt Meinungsfreiheit

Der allgegenwärtige Meinungsdruck hat inzwischen dazu geführt, dass nur noch 40 Prozent der Deutschen glauben, ihre Meinung frei äußern zu können. So groß war die Sorge in der Bundesrepublik noch nie, für frei heraus geäußerte Gedanken abgestraft zu werden. Nur Anhänger der Grünen geben sich nach wie vor von der Meinungsfreiheit überzeugt. Wen wundert’s.

Keine Geschichte ohne besondere Duftnote: Die Bertelsmann-Stiftung, bekannt für ihre verheerende Abfüllung regierender Flaschen (u.a. das Konzept zur Halbierung der Krankenhausbetten vor fünf Jahren) bewaffnete kürzlich zusammen mit dem obskuren Bürgerrat (vorwiegend Lobbyisten) unsere Innenministerin Nancy Faeser für deren Kampf gegen die Meinungsfreiheit:

Vor dem Posten (= Text im Internet veröffentlichen, d. Verf.) soll es eine angemessene Bedenkzeit (2–5 Minuten) … geben. Innerhalb dieser Bedenkzeit überprüft eine KI (=Künstliche Intelligenz, d. Verf.) den Inhalt auf mögliche Desinformation … Besteht ein Verdacht auf Desinformation, soll ein Warnhinweis erscheinen… Entscheidet sich die Verfasserin / der Verfasser, trotzdem zu posten, wird der Inhalt zurückgehalten und durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Plattform final geprüft. Bei einer Einstufung des Beitrags als Desinformation wird der Post nicht veröffentlicht.

Bertelsmann regt sogar an, die Verbreitung von vermeintlicher/angeblicher Desinformation strafrechtlich zu ahnden. Die Herrschaften demonstrieren damit ein Demokratieverständnis gleich rechts neben dem des Hunnenkönigs Attila.

Aktuell wird im Bundestag das Gesetzesprojekt Schutz der dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten vorbereitet. Es dient wesentlich dazu, unser eh schon dickfelliges politisches Funktionspersonal auch noch mit Giftstacheln gegen Kritiker auszustatten. Der Kampf gegen „falsche“ Meinung, umgeformt in Strafverfolgung, ist voll entbrannt. Das Abgleiten Richtung Faschismus lässt sich nicht mehr leugnen.

 

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Grundeinkommen: Supergau auf dem Linken-Bundesparteitag in Halle

Erstellt von Redaktion am 9. November 2024

Grundeinkommen: Supergau auf dem Linken-Bundesparteitag in Hallevom 18.10. bis 20.10.2024

von Charlotte Ullmann, ehemaliges LaVo-Mitglied der Partei Die Linke, LV Hessen

Der Supergau ist eingetreten. Für die Befürworter eines linken, emanzipatorischen Grundeinkommens (BGE)!

Das linke Konzept, abgeschmettert auf dem Parteitag in Halle am 20.10.2024 nach kurzer kontroverser Debatte um ca.10:00 vormittags.

Obwohl ein Mitgliederentscheid zum BGE vorlag, bereits vor zwei Jahren positiv beschieden.

Ein Mitgliederentscheid besitzt den Rang eines Parteitagsbeschlusses, änderbar nach Ablauf von zwei Jahren.

Wie verabredet wurde er vom Bundesvorstand auf dem Parteitag als Antrag eingebracht, doch erst jetzt, nach zwei Jahren.

Aha, deswegen die Schieberei? Trickreich eingefädelt!  Weil man ihn deswegen neu verhandeln kann, laut Satzung!

Was aber in all den vergangenen zwei Jahren hinter dem Rücken der Befürworter gemauschelt wurde, dem Antrag des Vorstands, respektive der BAG-Grundeinkommen, nicht nachzukommen, macht sich deutlich anhand des Gegenantrags, der von den Gegnern (vorrangig Gewerkschafter) auf dem Parteitag eingebracht wurde.

Unglaublich!  Die letzte Chance für die Partei Die Linke (PDL), ihre Wiederauferstehung zu feiern nach ihrem fulminanten Niedergang im Bund und in den Ländern!

Vertan die Chance zu zwei wichtigen  Alleinstellungsmerkmalen, die da wären: Basisdemokratie und ein linkes BGE, mit denen sie sich von den relevanten Parteien  wohltuend hätte abheben können!

Wie konnte das geschehen?

Im Programm der Linkspartei, verabschiedet 2011 in Erfurt, also genau vor 13 Jahren, wird das BGE als diskussionswürdige Option hypostasiert, diese zu pflegen so lange, bis auch der/die Letzte vom BGE überzeugt ist.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) -Grundeinkommen, mitsamt ihren Landesverbänden, bemühte sich nicht nur um fruchtbare Diskussionen, sondern arbeitete dazu auch noch ein sehr gutes, gangbares und revolutionäres BGE-Konzept aus, das bisher am besten ausgearbeitete Konzept unter den BGE-Konzepten, offensichtlich nicht genügend rezipiert innerhalb der Partei oder zumindest von den scharenweise Ausgetretenen mit in die Versenkung  genommen.

Deswegen nun der erneute Diskussionsbedarf, der eine finale Abstimmung nicht zu erlauben schien.

Also geht die Diskussion weiter bis zum Nimmerleinstag?

Obwohl dieses linke Konzept  eine gigantische Umverteilung von oben nach unten vorsieht, so sehr gewünscht von der Linken in Partei und Gesellschaft, mit dem 90 bis 95% aller Bürger besser gestellt wären, nur die oberen 5 bis 10 % wären Zuzahler, also schlechter gestellt als heute.
(Siehe: Charlotte Ullmann, https://www.scharf-links.de/debatte/sozialstaatsdebatte/detail-sozialstaatsdebatte/zum-mitgliederentscheid-der-partei-die-linke)

Aber letztere, nämlich die oberen 5 bis 10 %, sind die absolut Reichen, die oft ohnehin nicht wissen, wohin mit ihrem Geld, und verzweifelt nach Anlage-Möglichkeiten suchen. Genau deswegen werden von ihnen Krisen und Kriege heraufbeschworen, für noch mehr Profit, den sie zu allem Überfluss kaum versteuern müssen, weil sie mit ihrem Geld ausgefuchste Fachleute kaufen können, die ihnen die Wege zu Steuerschlupflöchern ausleuchten.

Seit 13 Jahren also zieht sich die innerparteiliche Debatte zum BGE quälend dahin, forciert von den Befürwortern, abgeschmettert von den Gegnern.

Die Gegner unterwerfen sich mit ihrem Hauptargument den vorgeblich so unabänderlichen Kräfteverhältnissen des Kapitals, jeden revolutionären Impetus in Partei und Gesellschaft im Keime erstickend.

Dem Mitgliederentscheid ging eine Kampagne voraus, durchgeboxt von visionären und selbstlosen Basismitgliedern. Er wurde jetzt schlicht und ergreifend vom Tisch gefegt, obwohl Mitgliederentscheide den Rang eines Parteitagsbeschlusses genießen. Sicher, auch Parteitagsbeschlüsse können wieder geändert werden. Jedoch ist es in meinen Augen etwas anderes, wenn der Beschluss von der Basis kommt, den ernstzunehmen einer jeden Partei, einer jeden gesellschaftlichen Formation, die sich unserem Grundgesetz und unserer Demokratie verpflichtet sieht, eine Ehre sein müsste.

Trotz alledem wird von der Partei Die Linke, die sich links nennt und die sich demokratischen Sozialismus auf die Fahne geschrieben hat, eine gesellschaftlich mögliche Veränderung zu einer sozial besseren Welt verantwortungslos torpediert.

Charlotte Ullmann
am 22.10.2024 in Frankfurt am Main

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Kein Glanzstück professoraler Politikanalyse: Ein Politikwissenschaftler referiert über den „zivilen Ungehorsam“

Erstellt von Redaktion am 7. November 2024

Von Dr. Nikolaus Götz vom 16.10.2024

Der Erwartungshorizont zum Vortrag „Darf man geltende Gesetze aus moralischen Gründen brechen? Politische Philosophie des zivilen Ungehorsams“ von Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber war groß. Der Konferenzsaal bei der ’Stiftung Demokratie Saarland’ in Saarbrücken war am 11. September 2024 entsprechend gefüllt, da das gewählte Sachthema per se bei der Zuhörerschaft aus dem politisch interessierten Publikum mit Spannung und kontroversem Interesse erwartet wurde (1). Das angesprochene, auch relativ aktuelle Reizthema gab in der Diskussionsrunde nach dem Vortrag entsprechend Anlass zu heftiger sachlicher Kontroverse, denn die vorgetragenen Argumentationsketten des Referenten kamen bei den mit Geduld zunächst zuhörenden Anwesenden selbst als analytisch eher ’konservativ’ und zu stark manipulierend an. „Typisch universitäre Abgehobenheit“, kommentierte später während der Fragerunde zusammenfassend ein anwesender bekennender Aktivist der ’Letzten Generation’, den dennoch insgesamt zu lobenden Vortrag, da dieser einen von Sachlichkeit getragenen Bürgerdialog ermöglichte.

Der Referent, obgleich selbst Soziologe, verwendete für seinen Blickwinkel auf das Thema jedoch nicht den eigentlich zu erwartenden Begriff des „abweichenden Verhaltens“ (A.V.), um sich dem gewählten komplexen Thema anzunähern (2). Bedauerlich, da damit eine echte Chance für eine objektiv-wissenschaftliche Herangehensweise vertan wurde: „Das kulturelle System (der Bestand an Normen und Werten) artikuliert sich in bestimmten sozialen Systemen (Rollensystemen) und geht auf dem Wege der Sozialisation in die Motivationsstruktur des personalen Systems ein. Das soziale System hat die Funktion (objektive Konsequenz), die Kultur einer Gesellschaft ihren Mitgliedern mitzuteilen und ihren Bestand zu sichern.“….In diesem Sinne ist eine Soziologie des Abweichenden Verhaltens (A.V.) zugleich auch eine Soziologie des konformen Verhaltens.“ (3) So wäre die Verwendung des Begriffes „A. V.“ statt des Begriffes „ziviler Ungehorsam“ (4) zunächst einführend einer Sachanalyse dienlicher gewesen. Zudem stellt die deutsche Sprache mehrere unterschiedliche Begriffe für die Benennung ’nicht konformer’ Verhaltensweisen seiner Bürger zur Verfügung, die zudem die Weite von ’Protest’ gegen den Staat mit seinen Gesetzen’ bis hin zu den sich totalverweigernden oder systemaussteigenden „Reichsbürgern“ andeuten.

Zu allen Jahrhunderten war jedoch stets die angesproche Frage zu klären, welches Indiviuum ’abweichendes Verhalten entwickelt’, das es ’in Schach’ zu halten galt. Besonderes Interesse zeigten Herrscher in den jeweiligen politischen Systemen so stets an denen, die in bezug auf das jeweilige Staatswesen entweder offen revoltieren oder sich eher in die ’innerer Emigration’ zurückzogen. Stets hatte der ’Staat’ seine beauftragten ’Staatsschützer’ und das nur, damit seine Untertanen oder Bürger auf dem ’rechten Weg’ blieben. Dies galt für das Kaiser- oder das ’Dritte Reich’, ob für die BRD oder die DDR und jetzt endlich gar für „die beste aller Welten“, unsere heutige ’Berliner Bundes-Republik-Deutschland’: Der aktuelle deutsche Überwachungsstaat mit seinem kritisch zu hinterfragenden „Verfassungsschutz“ bildet also keine historische Ausnahme. Nicht zu vergessen sei der den Schutz flankierend absichernde, rechtsprechende, stets überwiegend negativ saktionierende Justizapparat (5). Solche Präliminarien oder eigentlich wichtige vorab Gesichtspunkte wurden in den Erörterungen des referierenden ehemaligen Verfassungsschützers nicht berücksichtigt. Er konzentrierte sich auf ’moralische Überlegungen’ bei seiner „Politischen Philosophie des zivilen Ungehorsams“, um dann jedoch zum Glück nicht wie ein christlicher Pfarrer auf der Kanzel, ein Moralprediger zu sein.

Auch der in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland von den Verfassungsvätern ausdrücklich aufgenommene Begriff des „Widerstandes“ im Artikel 20,4 GG wurde vom Referenden nicht für das sensible Thema ausgewählt (6). So schon sprachlich manipulierend näherte sich der Referent seinem Thema lieber durch das Wort des hierarchisch konnotierten „Ungehorsams“ an, wobei wohl die beiden unerzogenen Knaben ’Max und Moriz’ und ihre republikweit bekannten ’Streiche’ die Wortwahl beeinflussten. Das „Deutschland im Herbst“ von 1977 und die RAF wurden wie die bekannte Frankfurter „Startbahn West-Proteste“ im Vortrag nicht erwähnt, zumal das einen eigene Vortragsrahmen bedeutet hätte. Eine integrierte Overhead-Übersicht bekannter deutscher ’Protestaktionen’ oder auch eine kurze Tabelle sprachlicher ’Boykott’-Möglichkeiten seit dem Schlüsseljahr 1968 hätte jedoch den Vortrag weniger theoretisch gemacht oder ihn den Erwartungen seiner Zuhörer weiter genähert.

Natürlich war sich der Vortragende den im modernen industriell-komplexen und sogenannt demokratisch-repräsentativen politischen System existierenden Widersprüchen bewußt. Ausdrücklich wies er deshalb auf die von den Regierenden beanspruchte „Legitimität“ ihres Handelns hin, zumal dann deren als ’Gesetze’ erlassene ’Normen des Handelns’ deren Anspruch auf „Legalität“ begründen (7). Der Aspekt der Majorisierung (50,1 %) einer weggestimmten parlamentarischen Minderheit (49,9 %) oder deren politischen ’Zwangsvergewaltigung’ durch die „Regierungsmehrheit“ mit Fraktionszwang unter Bewältigungsdruck des Eilantrages in den Parlamenten wurde beim Vortrag nicht weiter thematisiert. Defizite des „demokratischen“ polischen Systems, wie sie Carl Schmitt einst schon für die Weimarer Republik aufzeigte (8), wurden nicht bedrücksichtigt. Noch 1979 wurde beispielsweise ’Klimapolitik’ mehrheitlich als eine ’linke Spinnerei’ von Turnschuhe tragenden Chaoten medial vermittelt, während heute ’Ökologie’ oder die „Feinstaubproblematik“ ebenso wie die Werbung für Solarautos oder Dachsolaranlagen auf allen TV-Kanälen gesendet werden. Die aufklärerische Meinung einer ’unterdrückten’ Minderheit kann sich nämlich wie gezeigt schon ’übermorgen’ zu einer allseits respektierten Mehrheitsmeinung entwickeln.

Der Komplex der bewußt systematisch betrieben politischen Manipulation des eigentlich sachlich aufzuklärenden Volkes verdeutlichte der Referent in einer Art ’Prolog’, vorgetragen durch den Vertreter des Stiftungsträgers. Diese ’neutrale’ Lektüre einer Beschreibung der „Ausschreitungen der Bauernproteste“ vom Januar 2024 veranschaulichte unser allen eigenen inhärenten Vorurteile. Diese landesweiten Aufmärsche gegen die Verteuerung der Dieselpreise liefen zeitgleich zu den Klima-Aktionen der ’Letzten Generation’, wobei der beschriebene Protest aus dem heutigen Mainstream-Journal ’Der Spiegel’ mit diesen gesellschaftlichen ’Vorfällen’, dem ’Streik’ oder ’Protest’ und ’Widerstand’, der von der Zuhörerschaft ’natürlich’ rein assoziativ, vorurteilsbehaftet fast automatisch“ und negativ den „langhaarigen Krawallbrüdern“ von ’der Linken’ zugeordnet wurden. Dagegen wären die Jubelproteste vom Frühjahr ’Gegen Rechts’ durchaus positiv gewesen, meinte der referierende Verfassungsschützer, ohne zu erwähnen, dass die regierungstragenden Aufrufenden zu diesen eher blamablen, stark medial unterstützten, öffentlichen Versammlungen der „besseren Deutschen“ nicht nur seit 2020 die Meinung der sogenannten ’Querdenker’ kriminalisiert hatten, sondern sie heute auch unreflektiert für den aktuellen Krieg der BRD gegen Russland sind und für das milliardenschwere Aufrüstungsprogramm Verantwortung tragen (9).

Das allen Anwesenden vom Referenten zur Verfügung gestellte und in 20 Abschnitte gegliederte Thesenpapier spiegelte den Entwicklungsgang des Vortrages wider (10). Dabei folgte nach den Einleitungsabschitten als „Begriffsbestimmung“ im sechsten Abschnitt die sprachliche Einengung des ’staatlichen Bürgerengagements’ auf den Begriff des „zivilen Ungehorsams“. Die gewählte Definition des „zivilien Ungehorsams“ beinhaltete dabei stets einen integrierte ’Rechtsbruch’ mit einen Appelcharakter an die gesellschaftliche Öffentlichkeit und würde auf expliziten „Handlungsprinzipen“ basieren, die, so der Referent im seinem ersten Abschnitt, bei den Klimaprotestlern „moralisch“ (?) jedoch ohne das üblicher Weise zu findende Adjektiv „ethisch“ gründen (11).

In seiner referierenden Wissensvermittlung an das Auditorium folgte der Referent soweit auch den Ausführungen, wie sie ähnlich im Artikel ’Ziviler Ungehorsam’ bei Wikipedia nachgelesen werden können. (12) Auch dort beginnt die neuzeitliche Diskussion um den ’zivilen Ungehorsam’ mit den modernen Vätern des Konzeptes wie „…Henry David Thoreau, Mohandas Karamchand Gandhi und Martin Luther King, Jr. Im philosophischen Diskurs nehmen seit der Veröffentlichung seines Artikels The Justification of Civil Disobedience John Rawls’ Überlegungen eine zentrale Stellung ein“(13), was so auch der Referent erklärte.

Weiterführend erscheint jedoch die strukurierende Darstellung von vier akademischen Typen zivilen Ungehorsams mit ihren namentlich erwähnten Hauptvertretern, die der Referent zunächst in den Absätzen 9-12 kurz vorstellte und sogleich im Absatz 13 argumentativ kritisierend ablehnte. So resümiert zwangsläufig der Absatz 14 vier Kriterien, die inhaltlich bei „zivilem Ungehorsam“ endlich bestehen bleiben: 1. Akzeptanz strafrechtlicher Folgen, 2. Apellfunktion ohne Gewalt, 3. Bruch des Gesetzes im Rahmen rechtsstaatlicher Ordnung und 4. Protest in identifizierbarer Weise.

Inwieweit sogenannte „strukturelle Gewalt“ nach Johan Galtung begrifflich eingebunden wurde, ist ebenso unbekannt wie andere Handlungen des zivilen Ungehorsams, die keinen „Rechtsbruch“ beinhalten, wie vielfach bei ’Protesten’ von der Friedensbewegung ausgeführt. Denn wer in Deutschland, im Land der sogenannten ’Biedermänner’, will als demokratisch engagierter ’Normalbürger’ polizeilich erfasst und juristisch belangt werden? Auch deshalb bewundern viele Deutsche unsere Nachbarn die Franzosen, deren renitenten ’Gelbwesten’ unlängst in ihrem ’zivilen Ungehorsam’ gegen den Staat europaweit Bewunderung und Nachahmung erfuhren. Der bekannte Spruch „Mach kaputt was Dich kaputt macht!“ aus der alten Anti-Kernkraft-Bewegung oder die Losung „Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand (sic) zur Pflicht!“ passte deshalb nicht in das Vorstellungschema des Referierenden von seinem „zivilen Ungehorsam“.

Ein bejahendes, klares Bekenntnis des Referenten zum gewählten Thema, jedoch wurde nicht eindeutig artikuliert. Eher versteckte der Vortragende seine persönliche Meinung in der Formulierung des Abschnittes 17, in dem erklärt wird: „Eine einseitige Beanspruchung des Rechts auf zivilen Ungehorsam ist in einem demokratischen Verfassungsstaat nicht möglich, ansonsten würde auch die Akzeptanz der Bestrafung als Indiz für die Konsequenz des persönlichen Protestes wegfallen.“ Was heißt diese Verklausulierung? Auch wenn ein sogenannt demokratischer Rechtsstaat Unrecht begeht, hat der politisch wachsame, revoltierende Bürger die staatliche Bestrafung zu akzeptieren! Diese politische Ansicht des referierenden Politikwissenschaftlers und Verfassungsschützers lassen jedoch einen Menschen im 21. Jahrhundert erschrecken, denn sie erinnert stark an ein überwunden geglaubtes untertäniges Politikverständnis aus dem verflossenen Mittelalter. Der deutsche Schriftsteller Heinrich Kleist thematisierte den Widerspruch zwischen Staatsrecht und Individualrecht in seiner berühmten Novelle ’Michael Kohlhaas’. In dieser literarischen Reflektion leistet der ’Held’ der Erzählung Michael Kohlhaas nach erduldetem staatlichen Unrecht ’Widerstand’. Doch als der öffentlich Rebellierende, sich gegen das erlebte Unrecht wehrende Bürger endlich sein ’Recht’ bekommt’, muss er für seine ’Rebellion’ gegen die Obrigkeit, die juristische Konsequenz seines Handelns, „die Todesstrafe“ auf dem Schafott erleiden! (14)

Was werden also jugendliche Revolutzer im 21. Jahrhundert ohne literarische Bildung und geschichtliches Wissen von der beim Vortrag erarbeiteten „Definition“ eines „zivilen Ungehorsams“ halten? ’Zorro’ im Kopf und mit der ’Antifa’ auf der Straße haben die aufbegehrenden ’Kids out of school’ ihre inzwischen eingeschlafenen ’Klimademos’ „Freitags für die Zukunft“ beim staatlichen Ordnungsamt vorab genehmigen lassen. Nach der Demo war auch ein „Rechtsbruch“ gegen die „städtische Müllverodrnung“ festzustellen, denn der Platz ihrer „Abschlusskundgebung“ musste anschließend vom zurückgelassenen ’Wegwerf’ der westeuropäischen Industriegesellschaft befreit werden. Der historische „Ungehorsam“ von Mahadma Gandi, Martin Luther King fanden durch den Referenten eine lobenswerte Erwähnung, jedoch nicht das Engagement des deutschen, weltbekannten Schriftstellers Heinrich Böll, der sich 1983 vor Mutlangen „rechtswidrig“ gegen die Stationnierung der Pershing II Raketen exponierte (15). Und jetzt im Jahr 2024 sollen wieder von Oben verordnet, denen da unten ungefragt schützende Raketen aufoktruiert werden. Der Geruch des ’Widerstandes’ oder des ’zivilen Ungehorsams’ gegen die demokratische Regierung von SPD/FDP/Bündnis90/Die Grünen ist erneut schon riechbar. Auch im Westen wird im Oktober 2024 nichts Neues zu hören sein, wenn die nicht gefragten Ungehorsamen rufen: „Wir sind das Volk!“

Die nach den 20 Abschnitten angefügten drei ausgewählten Zitate zum „zivilen Ungehorsam“ komplettieren das Vorlagepapier, ebenso wie die angefügte Sekundarliteratur den Interessierten weitere Möglichkeiten individuellen Studiums bietet. Abschließend sei noch der Hinweis auf eine neuste Publikation zum Thema gestattet: AKBARIAN, Samira: Recht brechen. Eine Theorie des zivilien Ungehorsams, München 2024; ders: Ziviler Ungehorsam. Irritation und Impuls für den demokratischen Rechtsstaat, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 42/2024, 12. Oktober 2024, S. 14-19.

Anmerkungen:

1 Siehe: Veranstaltungskatalog der Stiftung Demokratie Saarland des Jahre 2024

2 Vergleiche die Ausführungen von Fritz Sack: Abweichendes Verhalten, in: Wilhlem Bernsdorf: Wörterbuch der Soziologie, Band 1, Frankfurt/M 1972, S. 15-20

3 Ebda Seite 15

4 Siehe den Arbeitstitel des Vortrages: Der Referent folgt dabei getreu Wikipedia: „Ziviler Ungehorsam (aus lateinisch civilis ’bürgerlich‘; deshalb (selten) auch bürgerlicher Ungehorsam) ist eine Form politischer Partizipation, deren Wurzeln bis in die Antike zurückreichen. Durch einen symbolischen, aus Gewissensgründen vollzogenen und damit bewussten Verstoß gegen rechtliche Normen zielt der handelnde Staatsbürger mit einem Akt zivilen Ungehorsams auf die Beseitigung einer so wahrgenommenen Unrechtssituation und betont damit sein moralisches Recht auf Partizipation. Die Normen können sich durch Gesetze, Pflichten oder auch Befehle eines Staates oder einer Einheit in einem staatlichen Gefüge manifestieren. Durch den symbolischen Verstoß soll zur Beseitigung des Unrechts Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung genommen werden. Der Ungehorsame nimmt dabei bewusst in Kauf, auf Basis der geltenden Gesetze für seine Handlungen bestraft zu werden. Häufig beansprucht er ein Recht auf Widerstand.“

5 Siehe hierzu beispielsweise gerade die Rechtsprechungen über den zurückliegenden G 20 Gipfel (Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie und Schwellenländer) von Hamburg des Jahres 2017, bei: Detlef Georgia Schulze: Das Landgericht Hamburg fällte am Dienstag, den 3. September sein Rondenbarg-Urteil Die Tatbestandsmerkmale des bedrohenden Landfriedensbruchs (Teil C), in: Untergrundblättle vom 18 .9. 2024

„Rund 31.000 Polizisten wurden zum Schutz des Gipfels und der Stadt eingesetzt. Bei Demonstrationen, Blockaden und anderen angemeldeten Veranstaltungen brachten Zehntausende ihren Protest gegen den Gipfel zum Ausdruck. Meist außerhalb davon begingen verschiedene Akteure, darunter Linksextremisten, Sachbeschädigungen, Plünderungen und Angriffe auf Polizeibeamte. Bei Ausschreitungen und Polizeiübergriffen wurden hunderte Personen verletzt.“ (Siehe : wikipedia.org/wiki/G20-Gipfel_in_Hamburg_2017

6 Gundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland: Artikel 20 [Gundlagen staatlicher Ordnung, Widerstandsrecht] Absatz 4: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widersdtand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“ Bei der Vortragsrunde wurde dann auch kurz diskutiert, was unter „diese Ordnung“ zu verstehen wäre.

7 Dass die franösischen Theoretiker des modernen Staatswesens Montesquieu oder Rousseau nicht zitiert wurden erstaunt: Jean Jacques Rousseau schreibt beispielsweise im seinem ‚Contrat social’ von 1762: „Wie vermöchte ein blinde Menge, die meist nicht weiß, was sie will, weil sie selten weiß, was für sie gut ist, eine so schwiegige Unternehmung wie ein System der Gesetzgebung von sich aus durchführen?“ Damit hinterfrägt Rousseau die Legalität der existierenden „Gesetze“ auch und besonders für einen demokratischen Rechtsstaat. Siehe: Rousseau, Staat und Gesellschaft, (Contrat social), München 1968, S. 36.

8 Carl Schmitt: Legalität und Legitimität, 1932, in Neudruck bei Duncker & Humblot, 2005; seine Person ist jedoch heute nach seinem Verhalten im Dritten Reich stark umstritten: „Schmitt wird heute, wegen seines staatsrechtlichen Einsatzes für den Nationalsozialismus, als Gegner der parlamentarischen Demokratie und des Liberalismus sowie als „Prototyp des gewissenlosen Wissenschaftlers, der jeder Regierung dient, wenn es der eigenen Karriere nutzt“, weithin abgelehnt. Allerdings wird er aufgrund seiner indirekten Wirkung auf das Staatsrecht und die Rechtswissenschaft der frühen Bundesrepublik und der breiten internationalen Rezeption seiner Gedanken mitunter auch als „Klassiker des politischen Denkens“ bezeichnet.“ Siehe: wikipedia.org/wiki/Carl_Schmitt

9 Siehe: demokratisch-links.de: Ein Schnellkommentar zur Saarbrücker Demo ’Bunt gegen Rechts’, der es in sich hat. Erstellt von Redaktion am Samstag 3. Februar 2024;

siehe ebenfalls das aktuelle Positionspaier der Deutschen Friedensbewegung: Bundesausschuss Friedensratschlag, Positionspapier September 2024: Nein zu US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland, 12 Seiten; Bundesausschuss Friedensratschlag, Germaniastr. 14, 34110 Kassel; www.friedensratschlag.de

10 Siehe das vorgelegt vierseitige Thesenpapier von Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber

11 Siehe die Begründung für das Agieren „mancher Klimaprotestler“ im ersten Anschnitt

12 „Als Moral wird der Teil der Handlungskonventionen bzw. -regeln bezeichnet, deren Befolgung im zwischenmenschlichen Miteinander als „gut“/„richtig“ und deren Nichtbefolgung als „böse“/„falsch“ bewertet wird.“ (Siehe: wikipedia.org/wiki/Moral# Moral _und_Recht); „Die Ethik ist jener Teilbereich der Philosophie, der sich mit den Voraussetzungen und der Bewertung menschlichen Handelns befasst. Ihr Gegenstand ist damit die Moral insbesondere hinsichtlich ihrer Begründbarkeit und Reflexion.“ (Siehe: wikipedia.org/wiki/Ethik

13 Siehe: wikipedia.org/wiki/Ziviler_Ungehorsam

14 Siehe auch .wikipedia.org/wiki/Michael_Kohlhaas

15 Siehe: www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.pershing-proteste-der-lange-schrei-von-mut- langen d24a3618-3eae-49b2-a510-1628f162a212.html

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