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Archiv für September, 2024

Niedergang der Linkspartei. Rackete schießt den Vogel ab. Mit links für die NATO: EU-Abgeordnete will »Einschränkungen des Einsatzes westlicher Waffen« aufheben und »Taurus« an Kiew liefern

Erstellt von Redaktion am 21. September 2024

Von Nico Popp (für die Junge Welt)

Christoph Soeder/dpa / Montage jW

Hier nicht, kleine weiße Friedenstaube

Viel von sich reden gemacht haben die drei Abgeordneten, die im Juni über die Liste der Partei Die Linke in das EU-Parlament eingezogen sind, bislang nicht. Aber untätig sind sie nicht. Die Abgeordnete Carola Rackete hat am Donnerstag für eine Resolution gestimmt, in der die Mitgliedstaaten der EU aufgefordert werden, »Einschränkungen des Einsatzes westlicher Waffen gegen legitime militärische Ziele im Hoheitsgebiet Russlands unverzüglich aufzuheben«. Außerdem wird in der Resolution »zutiefst« bedauert, »dass der Umfang der bilateralen militärischen Hilfe der Mitgliedstaaten für die Ukraine zurückgeht«; die Staaten werden aufgerufen, »insbesondere Lieferungen moderner Luftabwehrsysteme und anderer Waffen und Munition, einschließlich des Marschflugkörpers ›Taurus‹, zu beschleunigen«. Für das militärische Fitmachen der EU legen sich die Abgeordneten auch ins Zeug: Diese solle »mit der NATO interoperabel und komplementär« aufgestellt werden.

Für dieses Bekenntnis zur Eskalation stimmten in Strasbourg 425 Abgeordnete, 131 votierten mit Nein, 63 enthielten sich. Die Mitglieder der linken Fraktion (»The Left«) stimmten uneinheitlich ab. Von den drei deutschen Abgeordneten – Rackete, Martin Schirdewan, Özlem Demirel – lehnte lediglich Demirel die Vorlage ab. Koparteichef Schirdewan enthielt sich. Mit Rackete stimmten acht »linke« Abgeordnete für die Resolution – fast durchweg Vertreter skandinavischer Parteien mit dezidiert NATO-freundlichen Positionen. Gegen die Vorlage stimmten neben Demirel vor allem Mitglieder der Fraktion aus Italien und Spanien.

Bereits im Juli hatte das gerade konstituierte EU-Parlament eine Resolution zum Ukraine-Krieg verabschiedet. Damals hatte sich Rackete mit Schirdewan noch enthalten; Demirel hatte dagegen gestimmt. Rackete ist nicht Mitglied der Linkspartei, wurde von der Parteispitze im vergangenen Jahr aber als Spitzenkandidatin neben Schirdewan präsentiert. Offene Kritik an der Nominierung, die der Augsburger Parteitag im November 2023 bestätigte, blieb aus. Erst nach dem niederschmetternden Wahlergebnis erklärte etwa die Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch, Racketes Nominierung sei »ein Fehler« gewesen: »Die Partei kannte sie nicht, und sie kannte unsere Partei nicht.«

Ob allerdings diejenigen in der Parteispitze, die Rackete nach vorn geschoben haben, ihre Positionen nicht kannten, ist mindestens zweifelhaft: Dass das liberal-aktivistische Milieu, für das Rackete steht, mit klassischen linken Positionen etwa beim Thema Frieden überhaupt nichts am Hut hat, sondern schlicht das politische Programm des »Westens« vertritt, ist eigentlich kein Geheimnis. Und kein Geheimnis ist auch, dass sich das bei vielen Akteuren in der Partei bis hin zum Parteivorstand auch so verhält.

Nun ist ein Abstimmungsverhalten wie das von Rackete für die Parteispitze aber durchaus ein Problem, weil es – vorläufig noch – der Beschlusslage und den Positionen vieler Mitglieder zuwiderläuft. Außerdem hat die Partei am Sonntag eine Landtagswahl zu bestehen, bei der mit vergossenen Tränen über angeblich zu spärliche Waffenlieferungen an eine Kriegspartei keine Stimmen zu gewinnen sind. Auf die Frage von jW, ob die Forderungen der Resolution der Position von Die Linke entsprechen, erklärte die Pressestelle der Partei am Freitag nachmittag: »Statt mehr Waffen in ein Kriegsgebiet zu schicken, fordert Die Linke, dass der diplomatische Druck auf Russland erhöht werden muss, dass es zu Verhandlungen und einem Frieden in der Ukraine kommt.«

Quelle: https://www.jungewelt.de/artikel/484184.niedergang-der-linkspartei-rackete-schie%C3%9Ft-den-vogel-ab.html

Aus: Ausgabe vom 21.09.2024, Seite 1 / Titel

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»Zeitenwende«   –   Kriegsgegner in der Defensive – SPD-Außenpolitiker Stegner verteidigt geplante Rede auf Friedensdemo am 3. Oktober

Erstellt von Redaktion am 16. September 2024

Von Marc Bebenroth  (für die Junge Welt)

Stefan Boness/IPON

Krieg stoppen und den Dienst an der Waffe verweigern: Szene am Rande einer Großdemonstration der Friedensbewegung (Berlin 1.10.2022)

Das wollen ihm die Bellizisten nicht durchgehen lassen. SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner hat sich am Wochenende gegen Kritik daran verteidigt, auf einer Friedensdemonstration am 3. Oktober in Berlin eine Rede halten zu wollen. Er werde seine Auffassung als Sozialdemokrat darlegen, teilte Stegner am Sonnabend auf X mit. Es gebe andere Rednerinnen und Redner, deren Meinung er »überhaupt nicht« teile, sowie »diverse Aufrufe«, deren Inhalt sich der SPD-Außenpolitiker »in keiner Weise zu eigen« mache. Solange »Faschisten, Antisemiten« und Rassisten ausgeschlossen bleiben, »halte ich Meinungsvielfalt aus«, schrieb Stegner weiter.

Die vom Bundestag ins EU-Parlament umgezogene FDP-Rüstungslobbyistin Marie-Agnes Strack-Zimmermann urteilte am Sonnabend auf X: »So schadet man seiner Partei und Regierung wirklich.« Der SPD-Rechtsaußenpolitiker Michael Roth kritisierte die Veranstalter der Kundgebung dort dafür, »mit keinem Wort« Russland und die Hamas »als Kriegstreiber gebrandmarkt« zu haben. Zuvor erklärte Roth auf der Plattform, welchen Frieden »wir Unterstützerinnen und Unterstützer der Ukraine« anstreben: »einen gerechten, keinen Diktatfrieden«, der die Ukraine »unterjocht«. »Nur Stärke zwingt Russland zu Verhandlungen«, so Roths – historisch oft fatale – Kriegslogik.

Für den 3. Oktober, dem »Tag der Deutschen Einheit«, mobilisiert die Initiative »Nie wieder Krieg – Die Waffen nieder!« gegen den Rüstungskurs der Bundesregierung und die drohende Eskalation weltweit. Auf der Abschlusskundgebung am Großen Stern in Berlin soll die Gründerin und Vorsitzende vom Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) die Hauptrede halten. Vor ihr soll Stegner sprechen. Auf X betonte dieser, »mit niemandem gemeinsam« aufzutreten.

Im Demoaufruf werden Waffenlieferungen verurteilt. »Das Geld für die Hochrüstung fehlt bei Krankenhäusern und Pflege, Rente und Sozialleistungen, Bildung und Kitas, Bahn und Nahverkehr«, heißt es weiter. Gefordert werden Friedensverhandlungen zur Beendigung der Kriege in der Ukraine und im Gazastreifen.

Siehe auch

Quelle: https://www.jungewelt.de/artikel/483773.zeitenwende-kriegsgegner-in-der-defensive.html     Aus: Ausgabe vom 16.09.2024, Seite 1 / Inland

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Das BSW, ein Ritt auf Messers Schneide?

Erstellt von Redaktion am 15. September 2024


Von Charlotte Ullmann, Frankfurt am Main.

Es ist wirklich ein Ritt auf Messers Schneide , für ein Parteiprojekt Unterstützer zu gewinnen, möglichst viele, die das Projekt mittragen und gleichzeitig unter ihnen diejenigen handverlesen und nicht zu zahlreich auszuwählen, die für eine Mitgliedschaft in Frage kommen. Personalknappheit ist da nur die mildeste Folge, die einem da blühen kann.

Nur, wie soll man dieses Problem, von Anfang an von missliebigen, unter Umständen gezielten Störern überrannt oder unterwandert zu werden, lösen?

Der Schnelligkeit äußerer Umstände zu begegnen, und gleichzeitig einen gründlichen und gemächlichen Aufbau eigener Strukturen zu gewährleisten, bedarf einer Virtuosität von Fingerspitzengefühl, das bereits übermenschlich anmutet.

Aber es ist ein Versuch wert, wie das ganze BSW-Projekt ein Versuch wert ist, in seiner Ausrichtung einzigartig in der Parteien-Geschichte.

Gegensätze von sogenanntem Links und Rechts, von Fortschrittlich und Konservativ, von ubiquitärem sozialem Gerechtkigkeits- und nationalem Selbsterhaltungsbedürfnis zusammenzubringen, das hat es bisher noch nirgendwo in der Parteienlandschaft gegeben, das ist wirklich eine Repräsentationslücke, die es zu füllen gilt.

Dass der Partei-Aufbau, der, vom Zeitfenster her gesehen, auch unter traditionellen Gegebenheiten ein Husarenstück wäre, eventuell unter die Räder kommen könnte,

das muss in meinen Augen, angesichts der Dringlichkeit eines solchen Parteiprojekts, dennoch gewagt werden. Deswegen werden auch gerne Experten abgeworben, legitim unter diesen Voraussetzungen, wie ich denke.

Hier in den hessischen Unterstützerkreisen, viele aus der Linkspartei und mit jahrzehntelanger Politikerfahrung, sind die Leute mit großem Enthusiasmus und Engagement dabei, zum Beispiel im Wahlkampf für die Europawahlen usw., aber auch mit großer Ungeduld.

Gut Ding will Weile haben, sag ich dann immer, das Projekt ist schon beinahe ein Selbstlâufer geworden.

Es ist ja nicht so, dass das Gespenst so einfach und plötzlich aus der Luft erschienen wäre, sondern es hat sich bereits seit Jahrzehnten zusammengebraut.

Spätestens mit der Gründung der Linkspartei, nach dem Debakel und dem Schicksal der Grünen, die mit ihrer Befürwortung des völkerrechtswidrigen Jugoslawienkriegs 1999 sich diametral von einer Antikriegspartei zu einer Kriegstreiber-Partei gewandelt hatten, spätestens seit diesem Tabubruch war es notwendig geworden, die Parteienlandschaft zu verändern. Der Linkspartei war dies nicht gelungen, eben wegen jener Konstruktionsfehler m. E., die das BSW jetzt zu verhindern bemüht ist.

Denn, nach meiner Beobachtung (ich bin Gründungsmitglied der Partei Die Linke – vor kurzem ausgetreten), kamen immer mehr Leute ungeprüft in die Partei – besonders seit der Fusion mit der damaligen PDS – mit vorrangig egoistischen Karriereinteressen im Blick und deshalb die Partei immer mehr weggebracht hatten von ihrem anfänglichen Profil einer lupenreinen Antikriegspartei, eines widerständigen Pfahls der sozialen Gerechtigkeit im Fleische des damals bereits heruntergekommenen Politik-Betriebs,

der sich um soziale Gerechtigkeit keinen Teufel mehr scherte (siehe Agenda 2010). Genau genommen zeichnete sich ihr Werdegang im Spiegelbild der Grünen nach, nur nicht, noch nicht, ganz so schlimm.

Deshalb, nach dieser 20ig-jährigen schmerzlichen Erfahrung eines in meinen Augen mit der Linkspartei gescheiterten Parteiprojekts, und vieler anderer, meine ich, wäre es ein letzter Versuch, gewissermaßen aus der Verzweiflung heraus, es doch zu wagen, oder, eventuell, in die Richtung zu gehen, Parteien ganz abzuschaffen.

Charlotte Ullmann am 14.9.2024
Sozialpsychologin

Gründungsmitglied der Linkspartei in Hessen,

als ehemaliges Vorstandsmitglied der Linkspartei Hessen

als ehemaliges Mitglied in mehreren anderen Funktionen der Partei,

namentlich dem BuSprRat Bedingungsloses Grundeinkommen und weiterer Funktionen für die Partei.

Betont sei die Ehrenamtlichkeit der Tätigkeiten.

Im Mai 2024 ausgetreten.

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Faschismus – Aus der Mitte entspringt ein Hass – Das Ding mit der AfD, dem Osten und dem Westen. Ein Kommentar

Erstellt von Redaktion am 7. September 2024

 

Von Felix Bartels (für die Junge Welt)

Po-Ming Cheung

Im AfD-Protest der Gutgesinnten wird das Ostproblem gleich mit entsorgt

Ewig rollt das Rad des Scheins. Die Wiederholung des Immergleichen ist derart vulgär, dass selbst Zarathustra überrascht wäre. Auf ein Wahldesaster folgt die Erklärung des Desasters, und die wird verlässlich selbst zum Desaster.

Warum bloß, fragen die Gelehrten, erhält die AfD im Osten so viel mehr Zustimmung als im Westen? Unstrittig durchaus, dass Migration und der Import ferner Kulturen das Haupt­thema dieser Partei und ihrer Wähler ausmachen. Und die Erklärung für dieses Verhältnis finden Feuilletonisten und Akademiker in – nun ja: dem Import einer fernen Kultur ins schöne Land.

Einer jener nachahmenden Vorturner heiß Niklas Potrafke, er lehrt an der LMU München und schreibt in der Montagausgabe des Handelsblatts, was schon oft geschrieben wurde: Das Gespenst der DDR geht noch immer um in den östlichen Ländern, hier als Umstand, dass »die Bürger im Osten einander viel weniger vertrauen als die Bürger im Westen«. Gesät worden sei das vor allem durch das MfS, dessen Bespitzelung habe die Leute traumatisiert, ein »kritisches Wort konnte zu viel sein«. Vermutlich wurde deswegen zu DDR-Zeiten so wenig gemeckert, vermutlich sind die unzufriedenen Ossis deswegen bis heute so still. Wer kennt sie nicht, die AfD, Partei der leisen Töne.

Das kollektive Unternehmen jener Gelehrten ist rasch auf den Punkt gebracht: Ein Problem unserer Gegenwart, bedingt durch allerheutigste Verhältnisse, wird ausgelagert, verschoben in die Vergangenheit. Gäbe es das schwere Erbe der DDR nicht, hätten wir eigentlich kein Problem mit der AfD. Wir sind die Guten, gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen.

Offensichtlich ist die Zustimmung zur AfD in den östlichen Ländern höher als in den westlichen, und wo eine Evidenz vorliegt, muss sie erklärt werden können. Gewiss wären Adornos »Studien zum autoritären Charakter« zu bemühen, als empirisch begründeter Entwurf einer Typologie gedanklicher und affektiver Quellen des politischen Ressentiments. Aber deren Frage nach Charaktereigenschaften und Haltungen, die Faschismus begünstigen, ist zu allgemein und führt eher weg vom Gefälle, das sich in der Bundes­republik zwischen Ost und West seit Jahrzehnten abzeichnet. Dem beizukommen, muss man zunächst das Gemeinsame vom Trennenden trennen. Erkennbar rekrutiert die AfD sich zu einem festen Anteil aus Leuten, die – ob Ost, ob West – nicht anders denn »genuin faschistisch« verfasst sind. Deren Fremdenhass sich längst zur geschlossenen Ideologie ausgeformt hat. Dieser selbstbewusst-rassische Typus scheint kaum verrückbar, er wird bei jeder Gelegenheit möglichst rechts wählen.

Zum anderen gibt es eine größere Gruppe von Anhängern, deren Vorbehalte gegen Migranten und fremde Kulturen eher impulsiv situiert sind und Projektion sozialen Missbehagens. Die affektive Ebene, auf der sich das abspielt, liegt auch dem selbstbewussten Rassismus zugrunde, wird dort aber in einem ausgeformten System gewissermaßen versteckt. Und die Affekte, um die es da jeweils geht, sind – ähnlich der Typologie bei Adorno – nicht immer dieselben, sie scheinen zum Teil sogar gegenläufig.

Wenn man eine spezifische Neigung zur AfD im Osten von einer im Westen unterscheiden will, spielt die aktuelle Lebenssituation der Leute die Hauptrolle. Im wohlhabenden Westen geht es primär um die Angst, den eigenen Lebensstandard und die beschaulichen Gepflogenheiten zu verlieren. Der Osten dagegen steht als depravierter Landstrich da – deindustrialisiert, arm, strukturschwach, kulturell abgehängt. Das Zusammentreffen dieser Eigenheiten führt zum einen dazu, dass der Hass im Osten intensiver wird – denn das Gefühl, etwas verlieren zu können, ist weniger bitter als das Gefühl, es längst verloren zu haben –, und zum anderen erklärt es, warum die AfD im Osten selbst von Menschen, denen es individuell gut geht, Unterstützung erfährt. Die Menschen im Osten fühlen sich nicht nur als Individuen zurückgesetzt, sondern auch als kollektives Subjekt, und was man seit zehn Jahren – seit Pegida und dem Aufstieg der AfD – im Osten beobachten kann, lässt sich kaum anders denn als Blowback von 35 Jahren Ungleichmachung verstehen.

Quelle: https://www.jungewelt.de/artikel/482938.faschismus-aus-der-mitte-entspringt-ein-hass.html Aus: Ausgabe vom 03.09.2024, Seite 10 / Feuilleton

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Ostdeutschland – Kaum noch Echos in den Bergen – Anmerkungen zur Thüringenwahl

Erstellt von Redaktion am 6. September 2024

Von Hagen Bonn (für die Junge Welt)

Sascha Fromm /IMAGO/Funke Foto Services

»Trifft ein Ostgote einen Weströmer. Mit dem Speer ins Herz«

Was sind schon zehn Jahre Ramelow gegen das Auftreten der Heiligen Elisabeth von Thüringen? Die gute Frau beschränkte sich nicht etwa auf das Verteilen von Zehn-Cent-Stücken an Bedürftige und das Abstellen halb ausgetrunkener Cola-Zero-Büchsen neben Papierkörben, nein, sie wurde dabei beobachtet, wie sie als entwürdigend angesehene Tätigkeiten verrichtete. Kranke Menschen, die Hilfe suchten, pflegte sie persönlich. 1226 ließ die deutsche Landgräfin unterhalb der Wartburg (Eisenach) ein Spital errichten, wo sie sich um jene Leute kümmerte, die am schlimmsten erkrankt waren. Ob Aussätzige oder Verkrüppelte, sie war einfach eng beim Volk.

Und Bodo, der Exlandgraf? Was hat er gegenüber der Thüringer Landgräfin zu bieten? Nun, er wird als »Twitter-König« gehandelt und als derjenige Landeschef, der am häufigsten im hiesigen Landtag auf sein Handy schaute. Ob er es auch gelesen hat? 26,4 Prozent der Thüringer haben nicht gewählt. Das ist wie in Sachsen (25,6 Prozent). Die Ampelparteien kamen unter Berücksichtigung der Nichtwähler zusammen auf 7,5 Prozent (Sachsen: 9,4 Prozent). Und weil nach zehn langen Jahren Sozialismus (hüstel) unter Ramelow die Alternativen restlos verbraucht waren, wählte man schlicht die selbstgekürte »Alternative«. Klingt logisch. Für meinen Vater (89) jedenfalls, der weder Kleidung noch Haushaltswaren oder Fachärzte in seiner thüringischen Kleinstadt findet. Schuld ist für ihn der »Wessi Ramelow«, und dann muss ich Vaters Lieblingswitz noch mal hören: »Trifft ein Ostgote einen Bewohner des Weströmischen Reiches. Mit dem Speer ins Herz.« Knapp 35 Jahre nach dem Zusammenbruch ist vor Ort nichts vergeben und nichts vergessen!

Die Gemütslage im grünen Herzen Deutschlands kann man auch an folgender Aussage der altehrwürdigen Wandersleute am Rennsteig erfühlen: »Seitdem wir Westen sind, gibt’s kaum noch Echos in den Bergen.« Soll heißen, dass es den Leuten schon lange die Sprache verschlagen hat. Wenn wir uns Berlin, seinen Speckgürtel und kleine Bereiche wie Leipzig oder die übergeschnappten »Landeshauptstädte« wegdenken, ist Deutschland-Nahost ein völlig abgerissenes, verwahrlostes, niedergemachtes Land, dessen Bewohner beschämt auf ihr Leben zurückschauen und versuchen, irgendwie über die Runden zu kommen. Man muss diese Städte und Dörfer gesehen haben! Und dabei geben sich die Desinformationsanstalten MDR, NDR und RBB viel Mühe mit ihrem grenzdebilen Budenzauber. Der Rest der Meinungsmache wird eh über den Markt (Zeitungen, Zeitschriften) »reguliert«, was dazu führt, dass Ostdeutsche, so eine Studie aus 2021, große deutsche überregionale Tageszeitungen nur in homöopathischen Dosen kaufen (Süddeutsche Zeitung 2,5 Prozent der Gesamtauflage, FAZ 3,4 Prozent). Was nicht wundert, wenn man keine Ausgabe in die Finger bekommt, in der zu Ostdeutschland nur Schlagworte wie »Rechtsradikalismus«, »Stasi«, »Doping«, »Demokratiedefizit«, »DDR-Misswirtschaft« und »Unrechtsregime« zu lesen sind.

Es geht den Ostdeutschen nicht um die AfD, es geht um einen tiefsitzenden Verdruss, um Ratlosigkeit, um das Fehlen von Perspektiven. Auch Angst ist kein guter Berater. Nach knapp 35 Jahren haben die meisten Menschen im Osten kapiert, der Westen ist ihnen fremd und feind, von Beginn an, aber er herrscht! Gleichzeitig schämt man sich, weil man 1990 so arglos war, weil man es selbst versaut hatte, indem man das Vaterland einem Monstrum in den Rachen warf. Scham und Rebellion, das ist Ostdeutschland. Aber was uns mit Westdeutschland eint, ist das Fehlen einer sozialistischen Alternative.

Quelle: https://www.jungewelt.de/artikel/483083.ostdeutschland-kaum-noch-echos-in-den-bergen.html

Aus: Ausgabe vom 05.09.2024, Seite 10 / Feuilleton

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Nach den Landtagswahlen – Wer mit wem? CDU-Politiker gegen Koalition mit »Stalinisten« vom BSW. Dessen Vorsitzende sieht »Schnittmengen«

Erstellt von Redaktion am 5. September 2024

Von Philip Tassev (für die Junge Welt)

dts Nachrichtenagentur/imago

Können sie zusammen? Wahlplakate von BSW und CDU an einer Thüringer Landstraße  (Altenburg, 6.8.2024)

Das war zu erwarten: Vor Gesprächen zwischen der CDU und dem BSW für mögliche Regierungsbildungen in Sachsen und Thüringen machen CDU-Politiker mobil gegen eine Zusammenarbeit mit der Partei um Sahra Wagenknecht. Den Aufschlag machte Frank Sarfeld von der nordrhein-westfälischen CDU. »Sahra Wagenknecht widerspricht allem, wofür die Unionsparteien seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland stehen: klare Westbindung, ein vereintes Europa und Mitgliedschaft in der NATO als dem größten Friedensprojekt der Geschichte«, sagte er dem Tagesspiegel. »Wie die AfD wendet sich auch das BSW autoritären Systemen zu. Mit solchen Gruppierungen darf es keine Zusammenarbeit geben.« Sarfeld spricht für eine Gruppe von angeblich 40 CDU-Mitgliedern, die einen Unvereinbarkeitsbeschluss zum BSW fordern. Bisher gibt es einen solchen Beschluss nur gegenüber AfD und Linkspartei. Der nächste CDU-Bundesparteitag, das Organ, das einen Unvereinbarkeitsbeschluss fassen kann, ist erst für den Juni 2025 geplant.

Zu der Gruppe zählen laut Tagesspiegel auch der Hardcore-Transatlantiker Roderich Kiesewetter und der EU-Abgeordnete Dennis Radtke. Kiesewetter wird mit den Worten zitiert, das BSW agiere »als verlängerter Arm des Kremls«. Radtke plädierte statt dessen für eine Zusammenarbeit mit den Grünen, die in der Vergangenheit etwa von Markus Söder (CSU) und anderen Unionspolitikern attackiert wurden. Es sei nicht vermittelbar, »dass wir mit Stalinisten paktieren wollen, aber Koalitionen mit einem demokratischen Wettbewerber ausschließen, der dazu noch weitgehend unsere außenpolitischen Überzeugungen teilt«. Was genau Sahra Wagenknecht mit Josef W. Stalin zu tun haben soll, bleibt sein Geheimnis.

Viel entscheidender ist allerdings hier der Verweis auf die »außenpolitischen Überzeugungen«. Das BSW hatte im Wahlkampf an einen möglichen Koalitionspartner die Bedingung gestellt, sich gegen die Stationierung von US-Raketen in der BRD und für Verhandlungen mit Russland einzusetzen. Kiesewetter, Radtke und Co. schmeckt das überhaupt nicht. Sie treten damit auch gegen CDU-Chef Friedrich Merz auf. Der zeigte sich zuletzt für eine Zusammenarbeit mit dem BSW zumindest auf Landesebene offen. Am Tag nach der Wahl hatte er das Wagenknecht-Bündnis als »eine Art Black Box oder Red Box« bezeichnet, in die man jetzt mal hineinschauen müsse. Gegenüber dpa präzisierte er nun, es gehe »um die Frage, ob die Abgeordneten, die da gewählt worden sind, möglicherweise bereit sind, mitzuwirken an einer vernünftigen Regierungsbildung«. Das sei aber eine Frage, »die muss jetzt in Dresden und in Erfurt entschieden werden – und nicht in Berlin«. Einer möglichen Zusammenarbeit mit der Linkspartei erteilte er aber noch einmal eine deutliche Absage.

Bei der Thüringer Linken, die gegenüber der vergangenen Landtagswahl 2019 fast 18 Prozentpunkte verloren hat, wurde am Mittwoch laut über die Möglichkeit einer Minderheitsregierung aus BSW, SPD und Linkspartei nachgedacht. »Die CDU kann jetzt hier nicht aussitzen und mal schauen, was in drei Monaten passiert«, so die Thüringer Linkspartei-Chefin Ulrike Grosse-Röthig bei einer Pressekonferenz in Erfurt. »Rot-Rot-Rot hat in Thüringen auch 36 Prozent.« Die Idee hatte noch vor den Wahlen der frühere Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch ins Spiel gebracht.

Die BSW-Vorsitzende Amira Mohamed Ali bekräftigte am Mittwoch im Deutschlandfunk noch einmal die Ablehnung der Raketenstationierung und eine entsprechende Bundesratsinitiative als zentrale Bedingungen, in eine Landesregierung einzutreten. Die Landesverbände der CDU könnten anders als die Bundes-CDU durchaus zu einem solchen Zugeständnis bereit sein, sagte sie. Sie sprach außerdem von der Verantwortung, eine »gute Regierung« zu schaffen, um das Leben der Menschen in Thüringen und Sachsen konkret zu verbessern und verwies dabei etwa auf die katastrophalen Bedingungen in den Schulen und die Versorgung im ländlichen Raum. Sie glaube, dass es mit der CDU durchaus Schnittmengen geben könnte, zum Beispiel bei der »inneren Sicherheit« und in der Migrationsfrage.

Quelle: https://www.jungewelt.de/artikel/483053.nach-den-landtagswahlen-wer-mit-wem.html Aus: Ausgabe vom 05.09.2024, Seite 4 / Inland

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